Unterstützung

Erdbebengebiet in Nepal

Fortsetzung der Direkthilfe in der Region um Gorkha

Sa 25.06.2016 - 19:50, geschrieben von Fenja, veröffentlicht von Frank

Abschlußbericht - Tag 12 und 13. - 22. Mai 2016 Kathmandu

Department of Education (Amt für Erziehung und Bildung)
Heute wollen wir zu dem “Department of Education”, also dem Amt für Bildung, 40 Minuten von Kathmandu entfernt, fahren, um dort die Dokumente zu erhalten, die wir für den Bau der Schule benötigen. Mingmar erzählt nebenbei über Land und Kultur. Er beschreibt eine Gegend an der Grenze zu China, mit dem Namen “Mustang”, die noch sehr ursprünglich ist. Trotz der Monsunzeit, die nun beginnt, kann man hier ganzjährig Wanderungen unternehmen. Dort gibt es bespielsweise nur kleine Fenster in den Häusern, da die Menschen glauben, dass sonst Geister in die Gebäude eindringen könnten.

Wir treten vor das Hotel, laufen die kleine schlammige Gasse nach unten zu einer größeren Straße, auf der wir zwei Taxis finden, die uns zum Department bringen werden. Klein sind die Autos und wir müssen unsere Knie eng an uns drücken, um hinter dem Fahrer Platz zu finden. Ungefähr eine Stunde geht es durch verschiedene Bezirke Kathmandus. Wir fahren vorbei an vielen Trümmerhaufen, die seit dem Erdbeben niemand mehr angerührt hat. Viele Gebäude werden wohl auch in den nächsten Jahre nicht wieder aufgebaut werden und viele Menschen haben alles verloren.
Vor einem großen Tor halten die beiden Wagen. Wir steigen aus, strecken unsere Beine und laufen auf ein großes Backsteingebäude zu. Eine Frau und ein Mann, beide uniformiert begrüßen uns und lassen uns passieren. Auf dem Gebäude weht die nepalesische Flagge im Wind.
Wir treten in eine große Eingangshalle, die nur spärlich vom Tageslicht beleutet wird. Kühl ist es hier und ausgestorben liegen die Gänge vor uns. Nur selten läuft uns jemand über den Weg. Unsere nepalesischen Freunde laufen eifrig voraus. Bald biegen wir ab und folgen Narayan in ein Büro. Bald verlassen wir dasselbe wieder… Wir irren durch die Gänge, werden von einem Büro ins Nächste geschickt und niemand von den Beamten scheint wirklich zu wissen, wo wir hinmüssen, um die notwendigen Dokumente für die Schule zu bekommen. Irgendwann werden wir dann in ein einfaches Büro gebeten, das mit einem vergilbten Teppichboden ausgelegt ist. Wir müssen etwas warten, bis der Beamte Zeit für uns hat, aber dann spricht er sehr bestimmt zu Mingmar, der uns übersetzt. Er erklärt uns, dass es 25 verschiedene Entwürfe für Schulen gibt, die bereits von der Regierung abgesegnet sind. Wir können uns trotzdem einen Ingenieur suchen und etwas selbst zeichnen lassen, aber das würde den Prozess komplizierter gestalten. Er fragt, wo die Schule gebaut werden soll und Narayan Bohora erklärt, dass den Kindern in der Regenzeit das Wasser bis zu den Knöcheln steht. Irgendwann nach einem langen Gespräch auf Nepalesisch schickt der Beamte uns weiter in ein anderes Büro, in dem die Dokumente ausgestellt werden können. Wieder laufen wir durch die kalten Steinflure und suchen nach dem richtigen Raum. In einem großen Raum, der durch Trennwände in kleine Arbeitsplätze unterteilt ist, schickt uns eine Frau in einem bunte Sari zu einem westlich aussehenden Mann. Dieser spricht gut Englisch und nimmt sich Zeit, uns die Lage zu erklären. Er sagt, dass seit dem Erdbeben sich die Vorgänge deutlich verändert haben und man nun zu verschiedenen Ämtern gehen muss, auf denen man jeweils etliche Dokumente beantragen muss. So gibt es jetzt die “National Reconstruction Association”, die nationale Behörde für den Wiederaufbau Nepals, die versucht all die Wiederaufbauarbeiten zu koordinieren. Er erklärt uns, dass die Prozesse dort jedoch immer wieder neu definiert werden und aktuell niemand so genau weiß, welche Dokumente benötigt werden und welche Gebäude erlaubt werden und welche nicht. Er schreibt uns auch die Namen der anderen Ämter auf, die wir besuchen müssen und zeigt uns die bereits gezeichneten Pläne. Auf die Nachfrage nach den groben Kosten für die Schule, meint er, dass sich dieser sehr unterscheiden kann. Die verschiedenen Regionen Nepals haben leichten Zugang zu unterschiedlichen Rohstoffen, was die Wahl des Gebäudes beinflussen sollte und außerdem spielt der Standort eine große Rolle bei der Preisfrage. Ist der Ort leicht zu erreichen und sind viele Rohstoffe günstig vorhanden, fällt der Preis natürlich viel niedriger aus, als möglicherweise an anderer Stelle. “Bereits der Preis des gleichen Schulgebäudes östlich und westlich von Kathmandu würde sich deutlich unterscheiden”, meint er. “Bevor ihr aber über eine Konstruktion entscheiden könnt, müsst ihr erst andere Dokumente beantragen."
Bepackt mit neuen Informationen verlassen wir das Gebäude. Während wir über den staubigen Vorplatz gehen, diskutieren wir unser weiteres Vorgehen. Unsere Zeit hier ist aufgebraucht, und wir haben immer noch keine Dokumente, die uns tatsächlich zum Bau der Schule verhelfen. Narayan und Narayan Bohora sehen uns traurig an, als sie realisieren, dass wir die Dokumente auf dieser Reise nicht beantragen können.
Es fällt uns genauso schwer wie den beiden zu akzeptieren, dass der Schulbau nicht diesmal schon begonnen werden kann. Wir beschließen, dass unsere nepalesischen Freunde sich weiter um die Dokumente kümmern werden, während wir ihnen die nötigen Unterlagen aus Deutschland zuschicken können. Außerdem planen wir bereits im August unsere nächste Reise nach Nepal und werden auch nach Naya Shanghu zurückkehren. Erleichtert sehen sie uns an und versprechen uns, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die Dokumente weiter vorzubrereiten. Am nächsten Morgen treffen wir uns auf dem Flur und tragen Fenjas Gepäckstücke nach unten, wo wir schon auf Mingmar treffen. Auch sie wird heute abreisen und Alexandra bleibt winkend am Hotel zurück, als Mingmar und sie mit dem Taxi in Richtung Flughafen davon fahren. Alexandra reist ebenfalls heute, alleine nach Indien weiter, um dort Verteilungen von Schuhen, Schuluniformen etc. in Schulen durchzuführen und bedürftige Kinder auf den Straßen Delhis zu unterstützen…
DANKE DANKE DANKE an ALLE Freundinnen und Freunde zu Hause, die bei dieser Reise mitgefiebert haben! Nur durch Eure Unterstützung ist die Arbeit des FriendCircle WorldHelp erfolgreich!!

 

Fr 17.06.2016 - 12:40, geschrieben von Fenja, veröffentlicht von Frank

Bericht von Tag 11 - 21. Mai 2016 - Kathmandu

Abreise von einem Teil des Teams
Nach wenigen Stunden Schlaf, laufen wir hektisch durch die Gänge und Zimmer des Hotels und sammeln die letzten Gepäckstücke von Jürgen, Susanne und Alois ein, die heute nach Deutschland zurück fliegen. Fünf Uhr früh ist es und draußen wird es schon langsam hell, als wir uns von den Dreien verabschieden. Wir umarmen wir uns und sehen dem Taxi ein bißchen traurig hinterher. “Ich komme auf jedenfall wieder!”, meint Alois noch zum Abschied.
Gemeinsam mit Mingmar, der es sich nicht nehmen lässt die Drei zu begleiten, fahren sie zum Flughafen. Eine letzte Nachricht von Susanne, Jürgen und Alois erreicht uns, als sie schon im Flugzeug sitzen und kurz davor sind, Nepal zu verlassen.

Weitere Planung für die nächsten Tage
Fenja und Alexandra sitzen später am Morgen mit den beiden Narayans und Mingmar zusammen, um die nächsten Tage zu besprechen. Heute ist Samstag, und daher sind wir gezwungen mit der Bearbeitung der Dokumente bis morgen zu warten. Ähnlich dem europäischen Sonntag, sind in Nepal samstags viele Läden, Ämter, Apotheken und Restaurants geschlossen. Die Straßen sind leer und Kathmandu wirkt beinahe ruhig heute.
Narayan II, der Elternsprecher an der Schule in Naya Shanghu ist, erklärt uns, dass wir morgen in eine andere Stadt in der Nähe Kathmandu’s fahren müssen, um einige Dokumente auszufüllen. Weil wir heute mehr Zeit haben, zieht Alexandra den FriendCircle WorldHelp-Kalender und einen Newsletter aus der Tasche und wir erzählen über unsere Arbeit in den anderen Ländern auf der Welt. Erstaunt sind unsere Freunde über die Armut in Europa, die es auch in Europa gibt, denn ihre örtlichen Medien berichten darüber nicht.
Nach einem langen, intensiven Gespräch, irren wir einige Zeit suchend durch die Straßen, denn wir können keine Apotheke finden, die geöffnet ist, um für Narayan’s stark gerötete Augen Tropfen zu besorgen. Endlich werden wir fündig und trennen uns dann von unseren Freunden.
Mit Mingmar zusammen besuchen wir jetzt ein Internetcafe, um einige von Fenjas verfassten Berichten und Fotos für die Homepage zu verschicken. Mingmar verabschiedet sich nach einiger Zeit ebenfalls von uns, denn nach der langen Zeit der Abwesenheit möchte er heute gerne Zeit mit seiner Familie verbringen. Nach getaner Arbeit und einem kleinen Abendessen treten wir auf die Straße- Orientierung ist nicht gerade unsere Stärke- doch mit etwas Glück finden wir bald unsere Unterkunft...

 

Mi 15.06.2016 - 21:35, geschrieben von Fenja, veröffentlicht von Frank

Bericht von Tag 10 - 20. Mai 2016 - Jareber, Kathmandu

Eine lange Fahrt zurück nach Kathmandu
Draußen ist es noch dunkel, als wir ein letztes Mal aus unseren Betten steigen und im Licht der Taschenlampen unsere Sachen zusammen suchen. Pünktlich nach deutscher Zeit stehen wir um vier Uhr früh abfahrbereit auf dem Hof vor Bishnus Haus. Relativ unspektakulär verläuft der Abschied, denn alle sind noch müde und froh, als wir endlich im Jeep sitzen und weiter dösen können.
Während es langsam um uns herum hell wird, schüttelt uns der Jeep durch. Nepal erwacht und während wir mit der Müdigkeit kämpfen, sehen wir immer mehr Menschen, die über die Straßen zu ihrer Arbeit laufen. Verkehr ist bisher wenig und wir sehen einen Polizisten auf einem kleinen Stuhl mitten auf der Fahrbahn seine Morgenzeitung lesen. Trotz der wenigen Autos, Busse und LKWs, die so früh am Morgen unterwegs sind, fahren wir an zwei größeren Unfällen vorbei. Verwundert zeigen wir auf die Absperrung bei dem zweiten Auffahrunfall. Statt Pylonen oder einem Warndreieck haben die Menschen hier kleine Äste und Stämme auf die Fahrbahn gelegt. Seitlich an dem großen LKW sind grün belaubte Äste in die Plane gesteckt, um andere Fahrer daran zu hindern zu nah an die Unfallsstelle zu fahren.
Die Fahrt geht durch die Berglandschaft Nepals, vorbei an grünen Reisfeldern und braunen Geröllhaufen. In einem leuchtenden Feld, in dem der Reis gerade beginnt zu wachsen, steht ein riesiges Schild mit indischer Nudelwerbung - ein Problem der Globalisierung in einem einfachen Bild zusammengefasst.
Bald halten wir wieder an einem größeren Rasthof, kaufen Mangos und gewürzte Kichererbsen und vertreten uns ein wenig die Beine. Jürgen zeigt uns, wie wir die Mangos an einem Ende öffnen können, um dann nachdem die Mango gut in den Händen geknetet wurde, das Fruchtfleisch einfach herauszutrinken.  
Kurz nachdem wir beschließen weiterzufahren, stehen wir schon wieder. Eine lange Schlange bunter Laster, Busse und Jeeps zieht sich den Berg hinauf und keiner fährt. "Oft staut es sich vor Kathmandu", meint Mingmar und sagt, dass wir noch etwa 1,5 Stunden in die Stadt brauchen werden. Diesmal fallen wir nicht darauf rein und stellen uns gleich auf ungefähr drei Stunden Fahrzeit ein. Laut tuckert der Motor unseres Taxis, während wir warten. Da abzusehen ist, dass wir in nächster Zeit nicht weiterfahren werden, meint Alexandra, dass der Fahrer den Motor doch abstellen könnte. Fenja wirft ein: "Dann bekommt er ihn aber nicht mehr alleine an" (denn der kleine Bruder unseres jungen Fahrers muss immer etwas hinter der geöffneten Motorhaube andrehen, damit der Wagen anspringt). Niemand reagiert darauf erstaunt, was uns noch einmal deutlich zeigt, wie sehr wir uns bereits an das Leben hier in Nepal gewöhnt haben - keiner von uns wundert sich, dass unser Wagen nicht ohne äußere Hilfe anspringt. Eine Tatsache, die in Deutschland undenkbar wäre.

Frauen mit schweren Körben auf dem Rücken gehen langsam an uns vorbei und blicken uns an. Wir reden über Nepal, und darüber, dass uns gerade erst aufgefallen ist, dass hier nicht das Jahr 2016 ist, sondern 2073, wobei sich auch niemand so sicher zu sein scheint, denn auf einer anderen Rechnung steht das Jahr 2072. Mingmar weiß nicht, nach welchem wichtigen Ereignis man hier die Jahre datiert.
Meter für Meter kriechen wir vorwärts, während die Sonne immer höher steigt. Nach gut zwei Stunden im stockenden Verkehr und einer sehr kurzen, zurückgelegten Strecke, können wir endlich wieder fahren. Über die holprigen Straßen geht es schließlich nach Kathmandu und der Lärm, Schmutz und viele Verkehr lässt uns den Atem stocken. Die Ruhe in den Bergdörfern Nepals steht im krassen Kontrast zu der Hektik der Hauptstadt.
Mingmar bringt uns zu einem buddhistischen Tempel, der auch "Affentempel" genannt wird, denn er möchte ihn uns unbedingt zeigen. So verlieren wir uns ein wenig zwischen den riesigen goldenen Buddhafiguren, den auf Brettern betenden Menschen und den vielen Affen, die von einem Gebäude zum anderen springen und hoffen, von den Besuchern etwas Essbares zu bekommen. Vor dem Cafe gegenüber dem Tempel fällt uns ein alter Mann auf. Als wir ihm ein Stück Kuchen kaufen, freut er sich riesig und lächelt uns immer wieder an, während er dankbar und langsam einen kleinen Bissen nach dem anderen in den Mund steckt.
Wieder einmal prasselt der Regen vor uns auf die Straße, als wir zu unserer Unterkunft fahren. Wir breiten die Klamotten aus, die auf der Fahrt nass geworden sind. Zusammen sitzen wir in Jürgens und Alois Zimmer, als wir unsere Freunde Narayan und Narayan Bohora antreffen - sie sind später mit dem Bus nach Kathmandu gefahren, um mit Alexandra und Fenja morgen die Dokumente zu weiterzubesprechen. Jürgen, Alois und Susanne werden morgen sehr früh zum Flughafen abfahren.

 

Mo 13.06.2016 - 22:10, geschrieben von Fenja, veröffentlicht von Frank

Bericht von Tag 9 - 19. Mai 2016 - Jareber, Naya Shanghu, Dane Gau

Starke Frauen in blau-roten Saris
"Are you coming, Sister?", ("Kommst du, Schwester?") fragt eine junge Stimme und als wir vor das Haus treten treffen wir auf Laxmi, ein junges Mädchen, das uns letztes Jahr durch ihre Englischkenntnisse bei der Verteilung der Lebensmittel geholfen hat. Als wir uns damals verabschiedeten, weinte sie, denn trotz der kurzen Zeit waren wir ihr sehr ans Herz gewachsen. Sie umarmt uns und weicht uns nicht mehr von der Seite. Heute stehen statt den kleinen Schüsseln mit Nudelsuppe etliche, tragbare Blechdosen auf dem Tisch und Laxmi erklärt uns, dass ihre Großmutter Frückstück für uns gekocht hat. Als wir den Milchreis, das Reisbrot und ein Gemüsecurry erblicken sind wir sprachlos, denn Laxmi hat die Töpfchen anderthalb Stunden über die Berge nach unten getragen. Die Großmutter ist 90 Jahre alt und würde uns so gerne kennenlernen, meint Laxmi. Wir versprechen heute Abend mit zu kommen, wenn nach getaner Arbeit noch Zeit ist. Bis dahin wird uns Laxmi heute begleiten...
Gemeinsam laufen wir wieder den steinigen Weg in Richtung Naya Shanghu. Wir bemerken einige gleich gekleidete Frauen. Jede von ihnen trägt einen blau-roten Sari. Sie sind Mitglieder einer Frauenvereinigung, welche sie selbst gegründet haben. Sie erklären, dass sie alle gemeinsam Geld sammeln, um daraus dann Mikrokredite für alle Dorfbewohner zu ermöglichen und Dinge zu kaufen, die das gesamte Dorf braucht, so z.B. dringend benötigte Wasserleitungen oder einfache Ess-Teller - denn nach dem Erdbeben fehlte es an allem. Außerdem treffen sich die Frauen, um untereinander ihre Probleme zu besprechen, wie schlechte Ernten, fehlendes Wasser oder auch gelegentlich „zu viel Alkohol trinkende Männer“. Die Gruppe ist unabhängig und selbst organisiert und beruht auf dem starken Willen der Frauen, gemeinsam etwas zu verändern. Sie besitzt ein kleines Konto, welches von ihnen selbständig verwaltet wird. Etwa 100 nepalesische Rupien, knapp einen Euro kann jede Familie pro Monat zum Sparen abgeben.
Da wir unter Zeitdruck sind, versprechen wir, heute Abend wieder zu kommen, um mehr über das Konzept zu erfahren.
Als wir endlich in Naya Shanghu ankommen, erwartet uns Ram Chandra, einer der Elternsprecher der Schule schon am Rand der Straße. Wir sind heute bei ihm zum Essen eingeladen. Natürlich ist die geplante Schule ein Thema - und unser Gastgeber erklärt uns, dass er sieben Jahre lang Elternsprecher an der Schule war. Auch er möchte den Bau der Schule unbedingt unterstützen. Wir sind uns sicher, mit ihm einen starken Helfer gefunden zu haben.

Abschied von unserem Freund Minraj
Es hat heftig geregnet und die unbefestigten Wege und Straßen verwandeln sich in braune Rutschbahnen voller großer Pfützen und Schlammlöcher. Trotz alledem lässt Minraj, unser behinderter, treuer Freund, es sich nicht nehmen, uns bis hinunter zur Straße zu begleiten. Tapfer stützt er sich auf Jürgen und seinen Stock und sagt zum Abschied: “Wenn ihr wieder kommt, werde ich den Stock nicht mehr brauchen!” Sein Optimismus berührt uns. In einem kleinen Geschäft an der Straße kaufen wir noch eine Solarzelle für das alte Ehepaar am Fluss, den Alois, Jürgen und Mingmar jeden Morgen besucht haben. Ein ganzes Stück weg vom Dorf wohnen sie und ihr großer Traum war schon immer Strom zu haben. Dieser Wunsch soll ihnen nun erfüllt werden.
Als wir nach einem steil bergauf führenden, anderthalb stündigen Fußmarsch vor die kleine Hütte von Laxmis Großmutter treten, humpelt eine alte, gebückte Frau auf uns zu. Fest drückt sie uns nacheinander an sich, küsst uns auf die Wange oder Stirn. Eindringlich murmelt sie einige Worte mit einer tiefen, festen Stimme. Mingmar bemüht sich ihre Worte zu übersetzen. Einen winziges, liebevoll gebundenes Blumensträußchen drückt sie jedem von uns in die Hand und dankt uns für unser Kommen. Sie spricht über die Unterstützung des FriendCircle WorldHelp im letzten Jahr nach dem Erdbeben. Die alte Frau hat große Schmerzen im Fuß, aber als sie von unserer Ankunft am ersten Abend hier gehört hat, ist sie dennoch den ganzen Berg hinunter gelaufen, um uns zu begrüßen. Gerührt blicken wir sie an.
Es beginnt schon langsam zu dämmern, während wir die kleinen runden Früchte probieren und immer mehr neugierige Nachbarn herbeikommen, um ebenfalls ein paar „Worte“ oder Blicke mit uns zu wechseln.

Mikrokredite und Gemüsegärten
Nach einander folgen wir dem schmalen, von Taschenlampen erhellten Pfad im Dunkeln wieder nach unten. Laxmi und ihre Freundin begleiten uns und wir sind sehr froh darum, denn ohne die beiden hätten wir den Rückweg nicht so leicht gefunden.
Unten angekommen, kommt eine Frau auf uns zu und wir erkennen ihren blau-roten Sari. Seit Stunden schon, wartet die Frauengruppe auf unser Kommen.
Unter dem Vordach einer Hütte setzen wir uns und sind bald umringt sind von den vielen Frauen. Die Vorsitzende des Frauenbundes beginnt zu erzählen. Sie erhalten keine Unterstützung von anderen Organisationen! Beinahe alle der mitwirkenden Frauen arbeiten auf den Feldern und halten ein paar Tiere, um das Überleben der Familie mehr schlecht als recht zu sichern.
“Wir würden gerne Gemüsengärten anlegen”, erzählt eine der Frauen. Dazu ist aber eine ausreichende Bewässerung notwendig, die derzeit nur auf wenigen Feldern vorhanden ist. Außerdem fehlt es vielen Familien an Tellern und Tassen seit dem Erdbeben, ein Problem, das auch wir immer wieder bemerkt haben. Oft aßen wir beim MIttagessen in Naya Shanghu nacheinander, weil nicht genug Teller für alle vorhanden waren.
Die Frauen erzählen von dem „Konto", welches sie gemeinsam führen und sich dadurch gegenseitig kleine Kredite ermöglichen. Seit sieben Jahren sammeln sie beständig ein kleine Beträge von den Frauen ein. Gemeinschaftliche Anschaffungen werden hiervon bezahlt und Kredite zu einem sehr kleinen Zins gewährt.
Wir betrachten die Bücher, in welchen sorgfältig aufgeschrieben ist, wer sich wann wieviel geliehen hat und welche Schulden er nun hat - meistens pro Familie zwei bis drei Euro, die noch nicht zurückgezahlt wurden.
Ein Mann erklärt uns die Bücher und als wir fragen warum er das macht, erklärt er aufschlussreich, dass keine der Frauen schreiben kann. Als beschlossen wird, dass wir allen Familien die Zinsen bezahlen, bricht Freude, Jubel und Erleichterung unter den Betroffenen aus. Etwa 14000 nepalesische Rupien, umgerechnet etwa 120€ übernimmt der FriendCircle WorldHelp. Außerdem bezahlt der FriendCircle WorldHelp weitere Rohre zur Bewässerung der Gärten.
Als wir nach Hause laufen, ist es schon spät in der Nacht. Der Schlaf dauert diesmal nur etwa zwei bis drei Stunden, denn bereits um vier Uhr morgens werden wir von einem Jeep abgeholt, der uns zurück nach Kathmandu bringen wird.

 

Mi 08.06.2016 - 22:10, geschrieben von Fenja, veröffentlicht von Frank

Bericht von Tag 8 – 18. Mai 2016 – Jareber, Gorkha

Gespräche am Morgen
Als Mingmar uns um sieben Uhr Chai bringt, sind wir alle in ganz unterschiedlichen Bewusstseinsstufen – während Fenja noch tief schläft, kommt Alois bereits von einem langen Spaziergang am Fluss zurück. Bei unserer alltäglichen Nudelsuppe erfahren wir, dass der Bus in die Stadt erst gegen neun hier im Dorf vorbei fahren wird. Nach einander waschen wir unsere Wäsche in einer großen Schüssel und hängen sie zum Trocknen in die Sonne.
Leider hören wir, dass sich der Mann, dem der Bachlauf gehört, weigert sein Wasser mit dem Dorf zu teilen. Mit ihm, seiner Frau und seinem Sohn setzen wir uns vor das Haus und reden lange, versuchen ihm zu erklären, dass er weiterhin genug Wasser für seine Felder haben wird und wie wichtig das Wasser für alle hier ist. Sie zeigen kein Verständnis und enttäuscht blicken wir ihnen nach, als sie den Hof verlassen. Wir sind ebenso ratlos wie die restlichen Dorfbewohner. Fest steht für uns, dass wir keine Leitung für nur eine Familie beibehalten werden, die dann nicht mit den anderen Dorfbewohnern teilt. Bishnu möchte ihre Meinung nicht sagen, sie hat Angst vor Streitereien im Dorf.
Eine junge Frau kommt in all dem Durcheinander auf Fenja zu, die gerade etwas abseits ihre Wäsche aufhängt und beginnt mit ihr auf nepalesisch zu sprechen. Sie zeigt auf eine große Narbe, die von einer Seite ihrer Hüfte zur anderen reicht und den Bauch unförmig werden lässt. Sie weint. Fenja deutet ihr an zu warten und versucht Mingmar auf sich aufmerksam zu machen, der noch mit den Dorfbewohnern spricht. Als er schließlich dazu kommt, erklärt die Frau uns, dass sie einen Tumor im Bauch hatte, der in einer OP entfernt wurde und wieder stehen ihr Tränen in den Augen als sie die Schmerzen erwähnt. Hilflos stehen wir neben ihr, versuchen ihr Mut zuzusprechen und versprechen ihr, uns morgen vormittag noch einmal mit ihr zu treffen, um ihr wenigstens mit ihren anderen Sorgen zu helfen. Sie lebt in sehr ärmlichen Verhältnissen und kümmert sich allein um ihre drei Kinder, denn ihr Mann arbeitet in einem anderen Bundesstaat, ebenfalls für ein sehr kleines Gehalt.
Als der Bus hupend vorfährt, beschließen wir rasch, später noch einmal mit den Dorfbewohnern und dem uneinsichtigen Bachbesitzer zu sprechen.
Wir steigen in einen bunt bemalten Bus, der von außen schon komplett voll aussieht – was er für unser deutsches Verständnis auch ist! Rücken an Rücken stehen wir mit nepalesischen Frauen und Männern. Neugierig lächeln uns die Menschen an. Sicher kommt es nicht oft vor, dass Europäer mit diesem Bus fahren. Ganze 40 Cent kosten die Tickets für uns sechs Personen. In den vielen Kurven, denen der Bus nach Gorkha folgt, trainieren wir unsere Armmuskeln, so fest klammern wir uns an die Haltestangen. Unsere Mägen, die ab und an versuchen mit Übelkeit zu antworten, bemühen wir zu ignorieren, ebenso wie die unerträgliche Hitze. Irgendwann leert sich der Bus langsam und wir können uns setzen.
Am Straßenrand in Gorkha liegen drei schwarze Kühe und schlafen. Ihr Fell glänzt in der Morgensonne und sie nehmen keine Notiz von all dem hektischen Treiben um sie herum. Mingmar erzählt, dass er einmal einem großen Bus auf dem Motorrad gefolgt ist, der irgendwann nicht mehr weiter gefahren ist. Laut hat Mingmar gehupt und ist schließlich neben dem Bus vorbei gefahren. „Und dann musste ich sofort wieder bremsen. Vor mir stand ein riesiger Elefant!“, beschreibt er. Ungläubig sehen Fenja und Alois ihn an – wir können uns nicht vorstellen, einem Elefanten im Straßenverkehr zu begegnen.
Wir laufen zu dem Laden, in dem wir gestern unsere Geräte kurz an einer Batterie laden konnten. Euphorisch steckt der Besitzer zwar unsere Ladekabel in die Steckdose, aber es gibt nun auch hier keinen Strom mehr. Wir werden mit den restlichen Akkulaufzeiten zurecht kommen müssen. Alexandra und Fenja teilen sich eine Tüte Nudeln, die sie mit der Hand essen, weil „to go“ hier nur aus einer Alufolie um das Gericht besteht. Wir beschließen direkt zum Bauamt zu gehen, weil wir dort auf die Eltern und Lehrer treffen werden.

Auch in Gorkha ist Wasser knapp
Steil bergauf gehen wir wieder und der Schweiß läuft über unsere Gesichter. Wir folgen einem kleinen Erdweg zwischen den Häusern - eine Abkürzung meint Mingmar. Immer wieder müssen wir kleinen Müllbergen ausweichen, die sich hier angesammelt haben. Leider wird auch in Nepal viel Müll einfach achtlos auf die Straße geworfen. Erst wenn man in Ländern wie Nepal, Indien usw. unterwegs war, lernt man unsere sauberen Straßen und Wiesen daheim wirklich zu schätzen. Als wir das nächste Mal auf eine richtige Straße treffen, steht eine lange Reihe unzähliger großer Blechgefäße vor uns. Eine nach der anderen stehen sie aufgereiht die ganze Straße entlang. Neben den vielen vasenförmigen Töpfen stehen immer wieder kleine Gruppen an Frauen, die sich unterhalten. Wir blicken uns neugierig um und sehen schließlich einige Wasserhähne am anderen Ende der Schlange. Die Frauen und all die Vasen warten hier, mitten in der Stadt Gorkha, auf Wasser. Mingmar fragt nach und erfährt, dass die Quelle hier einst sehr viel Wasser führte, aber nun durch Erdverschiebungen, die letztes Jahr durch die Beben ausgelöst wurden, nur noch kleine Rinnsale aus dem Hähnen laufen. Wir gehen weiter und sehen selbst, wie langsam das Wasser in die Töpfe träufelt. Es wird sicher noch sehr lange dauern, bis auch die letzten der Frauen das dringend benötigte Wasser erhalten haben.

Günstiger und trotzdem erdbebensicher geht eben doch!
Als wir vor dem Regierungsgebäude ankommen, empfängt uns schon eine große Gruppe Menschen. Eine intensive Diskussion ist bereits im Gang. Die Lehrer und Eltern wollen diese Schule und sie möchten mit uns zusammen arbeiten. Sie haben verstanden, dass wir ihnen keine 150.000 Euro teuren Gebäude in ihr kleines Dorf stellen werden. Aber sie sehen auch, dass wir mit ganzem Herzen dabei sind. Ein Vater sagt zu uns: „We believe your group. We believe you because you came directly to us- no government, nothing.“ ("Wir vertrauen eurer Gruppe. Wir vertrauen euch, weil ihr direkt zu uns gekommen seid, nicht erst zur Regierung oder ähnlichem.") Ein anderer Mann sagt: "Wir können die Schule viel günstiger bauen. Den Sand können wir aus dem Fluss holen - und wenn die Regierung sagt, dass wir das nicht dürfen, machen wir das trotzdem."
Wir spüren, wie sich hier in der Hitze auf dem staubigen Boden vor dem Bauamt etwas in den Köpfen der Menschen verändert hat. Die Menschen beginnen damit, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie das System, unter dem sie alle leiden, verändern können. "Corruption is a deasese everywhere", ("Korruption ist eine Krankheit, die es überall auf der Welt gibt") sagt Alexandra und alle nicken zustimmend. "Wir sind nicht hier, um mit den vielen Ämtern tagelang zu diskutieren, von einem Raum in den nächsten geschickt zu werden und immer neue bürokratische Hürden zu nehmen. Wir wollen den Kindern und den Lehrern helfen, ein sicheres, trockenes Umfeld zum Lernen zu schaffen!“
Daher ist es notwendig, dass die Eltern und Lehrer sich ab nun selbst um die Dokumente kümmern, die Vorraussetzung hierfür sind. Dies stärkt außerdem den Willen und den Zusammenhalt der Betroffenen, der auch während der gesamten Bauphase enorm wichtig ist!
"Die Wasserleitung ist ein Paradebeispiel für unsere praktische Arbeit und auch dafür, wie Menschen für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiten können.“ Die Männer, die vor uns im Halbkreis stehen, hören aufmerksam zu.
Mehr nebenbei erwähnen wir, dass es heute morgen Schwierigkeiten mit dem Quellenbesitzer gab. Die Anwesenden werden sichtlich unruhig und schlagen schließlich vor, später mit uns nach Jareber zu fahren, um mit dem Mann dort eine Lösung zu finden. Wir sind sehr angetan von dem Vorschlag, denn die Menschen scheinen mehr und mehr zu verstehen wie der FriendCircle WorldHelp arbeitet: "friends help friends“ ("Freunde helfen Freunden")

Die Stimmung wird entschlossener
Eine entschlossene Stimmung begleitet uns hinauf in das Büro des Beamten und wir sind gespannt, was unsere nepalesischen "Mitstreiter“ ausrichten werden. Wir beschließen erst einmal vor dem Raum zu warten, denn es soll deutlich gemacht werden, dass die Eltern selbst für ihre Kinder und damit für das Schulgebäude einstehen müssen. So stehen wir in dem kleinen Gang vor dem Büroraum und schwitzen leise vor uns hin. Immer wieder müssen wir zusammenrücken, weil verschiedene Beamten mit großen Blätterstapeln unter dem Arm an uns vorbei wollen. Irgendwann ruft uns Alois aufgeregt und wir laufen hin, um zu sehen, was er gefunden hat. "Strom. Die haben Strom hier!", lacht Alois uns an, als wir in einen kleinen Raum mit großen Deckenventilatoren kommen. Ein einzelner Beamter sitzt hier und füllt geduldig seine vielen Formulare aus. Leise setzen wir uns auf die abgenutzten Sofas an der Seite und stecken unsere Vielfachsteckdose ein. Bald sitzen Fenja, Alois und Susanne um die Steckdose herum auf dem Teppichboden, um rasch ein paar Nachrichten an die Zuhausegebliebenden zu verschicken.
Plötzlich platzt Mingmar in den Raum und ruft "Schnell, jetzt alle kommen." Wir stehen auf und stolpern eilig in den Raum des Regierungsbeamten, wo wir uns kurz umsehen und Alexandra entdecken. Sie sitzt bereits auf einem der Sofas und klopft auf die freien Plätze neben sich, um anzudeuten, dass wir uns auch setzen sollen. Etwas durcheinander, weil wir so unvermittelt aus unserer Ruhe gerissen wurden, setzen wir uns auch. "What happened?", ("Was ist passiert?") fragt der Beamte und blickt Alexandra erwartungsvoll an.
Liebevoll aber bestimmt erklärt sie dem Beamten, dass unsere Freundinnen und Freunde zu Hause, die uns Geld für diese Projekte geben, auch nicht reich sind. "Sie alle arbeiten sehr hart und geben aus ihrem Herzen, was sie können, um diese Schule hier zu ermöglichen!“
Uns steckt die vom Ingenieur geschätzte Summe von 150.000 € noch in den Gliedern. "Wir werden keine Korruption akzeptieren", meint Alexandra nun sehr direkt.
Der Beamte blickt uns ruhig an und meint, dass er dies sehr gut verstehen könne und sichert uns seine volle Unterstützung zu. "Ich werde sogar hinausfahren und mir die Arbeiten selbst ansehen. Wenn Sie irgendeine Schwierigkeit haben, kommen Sie bitte, ich werde Sie unterstützen!“, verspricht der nette Verwaltungsbeamte. Wir sprechen außerdem von den einfachen, jedoch qualitativ guten und erdbebensicheren Gebäuden, die entstehen sollen, klären noch den Erwerb der notwendigen Dokumente, bevor wir uns endgültig verabschieden.

Wie ein Wunder- das Rohr ist auf der anderen Seite des Berges eingegraben
Die Sonne steht schon hoch am Himmel und wir spannen unsere Regenschirme, die zum Schutz vor der Sonne dienen auf, als wir vor das Gebäude treten. Mingmar schlägt vor, mit einem Jeep nach Hause zu fahren, doch wir sind froh, dass der ungeduldige Fahrer nicht so lange auf uns warten möchte, denn das Auto sieht aus, als würde es schon bei der ersten Berührung zusammenbrechen. Schließlich finden wir ein normales Taxi. Der Wagen ist allerdings so klein, dass Susanne abwechselnd auf Alois und Fenjas Schoß sitzen muss, was während der halbstündigen Fahrt irgendwann ziemlich anstrengend wird. Da Susanne außerdem sehr mit Übelkeit während der holprigen Fahrt zu kämpfen hat, beschließt sie kurz vor Jareber, das restliche Stück zu laufen. Hilfsbereit hüpft auch Alois aus dem Auto und begeleitet sie.
Es ist heiß heute und so eine enge Taxifahrt ist nicht angenehm. Vorsorglich kauen wir Kadamon, damit uns nicht übel wird. Endlich bei der Unterkunft angekommen, ist der Hof bereits voller Menschen. Die Eltern sind schon vor uns angekommen und kaum ist Mingmar ausgestiegen, fangen alle an, nepalesisch auf ihn einzureden. Irgendwann unterbrechen wir die fröhlichen Gespräche und fragen, was denn der Anlass der offensichtlichen Freude sei. Mingmar erklärt uns, dass die Dorfbewohner am Morgen über eine andere Lösung nachgedacht haben und bereits eine weitere, noch viel ergiebigere Quelle gefunden wurde! Ein Mann wird von den anderen Menschen zu uns nach vorn geschoben und wird uns als der Besitzer der neuen Quelle vorgestellt. Wir sind überwältigt - noch am Morgen sah die Situation so auswegslos aus und nun ist das Rohr, welches gestern noch an einer anderen Stelle eingegraben wurde, bereits auf die andere Seite des Berges verlegt!

Begeistert laufen wir mit den Eltern und vielen Dorfbewohnern zum Sammelbecken und trauen unseren Augen nicht. Fröhlich plätschert bereits Wasser über den Rand des Beckens, weil dieses bereits voll ist! Wir laufen die Leitung eilig entlang, wir wollen unbedingt die neue Quelle sehen. Ein viel größerer Flusslauf dient nun als Wasserspender. Das Ende der Leitung wurde mit Steinen an einer tieferen Stelle fixiert und durch eine Plastikflasche, in die Löcher gebohrt wurden, dringt das Wasser unermüdlich in das Rohr. Lange stehen wir auf den großen Steinen, die das Flussbett säumen und starren verzückt auf das schwarze Rohr, das immer mehr und mehr Wasser nach unten transportiert. Gemeinsam mit den Männern beschließen wir, die restlichen 150 m Rohr, die übrig sind und nun für die Hauptleitung nicht mehr gebraucht werden, umzutauschen in dünneres Rohr. Dieses soll dann an die Dorfbewohner zur Bewässerung der Felder verteilt werden.
Als wir zurück zu dem großen Sammelbecken kommen, treffen wir auf viele Frauen und Kinder, die bereits Wasser holen. Vor lauter Freude und Ausgelassenheit ist eine kleine Wasserschlacht entbrandet. Nachdem Alois schon völlig nass ist, werden Fenja, Jürgen und Susanne ebenfalls unter den Wasserstrahl gezogen und alle lachen laut, als Alois seine Mütze mit Wasser füllt und sie Bishnu auf den Kopf setzt. Das Wasser glitzert in der Abendsonne, während unsere Kleidung langsam durchweicht. Die Freude über das Wasser ist riesig und- vor allem ansteckend!

Auswirkungen der schweren Erdbeben vom letzten Jahr
Fröhlich laufen wir mit allen fleißigen Arbeitern zu einem kleinen Laden - jeder bekommt Getränke und die Kinder sogar Lollis. Entspannt sitzen wir alle beisammen, genießen ein kühles Getränk und blicken immer wieder ungläubig zum Sammelbecken auf der anderen Straßenseite, aus dem weiterhin üppig das Wasser läuft. Was noch am Morgen aussichtslos wirkte, erscheint uns am Abend wie ein Wunder.
Wir verabschieden uns von den vielen Menschen, denn wir möchten den alten, taubstummen Mann besuchen, der vor einigen Tagen noch sehr besorgt war, dass er von der Quelle kein Wasser abbekommen könnte. Wir werden ihn in seiner winzigen Hütte auf dem Berg oberhalb unserer Unterkunft aufsuchen. Oben angekommen, bietet er uns einen einfachen Tee ohne Milch an. Glücklicherweise versteht Mingmar die Zeichensprache und der Mann erzählt uns: Vor über einem Jahr noch besaß er mit seiner Familie  ein kleines, einfaches Haus in den Bergen, doch dieses wurde vollständig durch das Erdbeben zerstört. Den Unterschlupf, in welchem er nun lebt, baute er aus den Trümmern wieder auf. Zusammen mit seiner Frau und der jüngsten Tochter wohnt er. Es ist sehr sauber und ordentlich in den mickrigen Zimmerchen mit Lehmböden. Einige Ziegen meckern aus einem Unterschlupf hervor.
„Das Grundstück hier ist gemietet", meint die Frau und erklärt uns, dass sie sich den Kaufpreis von 50.000 Rupien (entspricht ungefähr 420 Euro) nicht leisten können. Zwei der älteren Töcher sind gerade in Kathmandu, da eine von ihnen im Krankenhaus liegt. Die älteste Tochter ist unterwegs in Richtung Indien, da sie kürzlich einen indischen Landsmann geheiratet hat. Der einzige Sohn der Familie ist Assistent eines Busfahrers - in Nepal, wie in vielen anderen Ländern auch, gibt es neben dem Busfahrer immer noch einen Gehilfen, der das Fahrtgeld einsammelt und verschiedene Stationen ansagt.
Während die Sonne langsam hinter den Bergen Nepals untergeht, erzählt uns das Paar, dass sie nach dem Erdbeben als Unterstützug sechs Metallteller bekommen haben, außerdem Reis und Mehl vom FriendCircle WorldHelp im letzten Jahr. Mehr gab es leider nicht. "Viele Autos von Organisationen sind vorbeigefahren, haben Fotos gemacht, aber angehalten hat hier niemand", sagt die Frau traurig. Ihre Sorgen haben tiefe Falten in ihr Gesicht gezogen und wir entscheiden uns dafür, diese Familie gesondert mit einer finanziellen Zuwendung zu unterstützen. Auch soll ein Stück der übriggebliebenen Wasserleitung an ihrem Haus vorbei verlegt werden...

 

Do 02.06.2016 - 22:30, veröffentlicht von Frank

Weitere Berichte folgen - kein Internetzugang

Die Berichte der restlichen Tage in Nepal folgen bald. Aktuell hat Alexandra keinen Internetzugang...
Nach der Abreise aus Nepal ist sie im Moment noch in Indien um dort einige Projekte weiter zu betreuen.

Schöne Grüße
Frank

 

So 29.05.2016 - 13:10, geschrieben von Fenja, veröffentlicht von Frank

Bericht von Tag 7 – 17. Mai 2016 – Jareber, Naya Shanghu

Wasserleitung für die Dorfbewohner: Unerwartete Bedenken
Nach und nach schälen wir uns alle aus unseren Betten. Spät ist es gestern geworden und erst nach einem Chai, den uns Mingmar fröhlich ins Zimmer bringt, fühlen wir uns wach genug, um unser Frühstück einzunehmen. Wir sitzen auf dem Bett von Alois und Jürgen (aufgrund Platzmangel müssen die beiden sich ein Bett teilen) zwischen den vollen Wäscheleinen und den Koffern und besprechen die letzten Erkenntnisse unserer Projekte und die Schlüsse, die wir daraus ziehen.
Als wir aus dem Haus treten, um uns auf den Weg zur Schule nach Naya Shanghu zu machen, ist der Platz vor dem Haus voller Menschen. Es sind die Dorfbewohner, die heute weiter an der Wasserleitung arbeiten und gerade Pause machen. Wir freuen uns, sie zu sehen und fragen, wie sie voran kommen mit dem Graben für das Rohr.
Einer der Männer meldet sich plötzlich bei uns und erklärt, dass ihm die Quelle gehört. All die Felder um den kleinen Bach gehören ihm. Er ist nun besorgt, dass er nicht genug Wasser haben wird, weil die Dorfbewohner soviel verwenden werden. Wir versuchen ihn zu beruhigen. Der Bach wird wegen des Sammelbeckens an der Straße nicht austrocknen und immer noch genug Wasser für seine Felder führen. Das Becken wird durch die Leitung Tag und Nacht gefüllt, sodass genug Wasser für alle vorhanden ist, oben am Bach und unten an der Straße. Die Sorge des Mannes zeigt uns wieder, wie wichtig das Wasser für alle hier ist. Keiner kann darauf verzichten und alle leben in der ständigen Angst irgendwann kein Wasser mehr zu haben. Seit dem Erdbeben mit seinen einhergehenden Erdverschiebungen im letzten Jahr ist Wasser hier rarer geworden, und um an das kostbare Nass zu kommen, müssen die Menschen nun oft weit den Berg hinauflaufen und das Wasser in Eimern herunterschleppen. Selbst während unseres kurzen Aufenthalts hier, spüren wir immer wieder die Auswirkungen des Wassermangels. Oft drehen wir erfolglos an den Hähnen auf der Toilette und auch die Leitung am Spülbecken ist oft leer – wir duschen und waschen dann mit in Eimern gesammeltem Wasser. Klospülungen gibt es nie, immer muss mit einem kleineren Eimer nachgespült werden. Wir nehmen uns vor, später noch einmal nachzufragen, um sicher zu stellen, dass alle zufrieden sind.

Ein Tauziehen ums einfache, erdbebensicherere Baukonzept
Eilig verabschieden wir uns von den Menschen, denn es wird immer heißer und wir müssen heute wieder zu der Schule laufen, um erneut mit den Lehrern über ihre Vorstellungen zu sprechen. 37 Grad hat es heute, laut Mingmars Thermometer. Wir schwitzen, laufen langsam über den staubigen Boden und versuchen unsere Haut mit Mützen, Schals und Schirmen vor der Sonne zu schützen, die erbarmungslos auf uns niederbrennt. Im Schatten eines großen Baumes machen wir eine kleine Pause und teilen unser Wasser. Mingmar betrachtet den Baum und erzählt uns, dass es eine nepalesische Tradition ist, zwei Bäume nach einer Hochzeit zu pflanzen – einen für die Frau und einen für den Mann. „Was für eine große Erleichterung der Schatten eines einzigen Baumes doch ist",  meint Alexandra und wir nicken zustimmend.
Weiter laufen wir durch die Hitze und sind froh, als wir endlich das Dorf erreichen. Jürgen und Alois treffen einen Freund aus dem letzten Jahr in einem der kleinen Läden am Straßenrand. Minraj ist behindert, aber wir können uns mit ihm auf Englisch verständigen. Er erzählt uns später, dass er einfach eines Morgens aufwachte und seine Beine nicht mehr richtig bewegen konnte - seitdem versuchen die Ärzte herauszufinden, was mit ihm geschehen ist- bisher vergeblich.

Letztes Jahr traf Jürgen ihn, nachdem viele der 30 Tonnen Lebensmittel des FriendCircle WorldHelp bereits aus den Trucks verteilt wurden und das Team schon weiter fahren wollte. Minraj fragte lieb nach einer zweiten Ration und zunächst lehnte Jürgen ab. "Wir versuchen immer unsere Rationen gerecht zu verteilen. Aber Minraj erklärte ihm, dass er nicht arbeiten könne und bei seiner Schwester lebe. Nichts kann er beitragen zum Wohl der Familie. Jürgen ging mit ihm zu seinem Haus, und kurz bevor es weiterging, brachte er ihm damals zwei weitere Säcke Reis.
Begeistert von dem Wiedersehen und die Dankbarkeit immer noch in seinem Gesicht stehend, folgt Minraj uns zur Schule und nimmt mit uns im Lehrerzimmer Platz. Gespannt warten wir auf den Schulleiter und einige der Lehrer, die noch bei den Kindern in der Klasse sind.
Als endlich der Gong zur Pause geschlagen wird und sich der Hof mit Kindern in blauen Uniformen füllt, kommen alle im Lehrerzimmer zusammen, einschließlich Narayan Dani, unserem Helfer vom letzten Jahr und Narayan Boroha, dem Elternbeirat.
Erwartungsvoll blicken wir sie an, während Mingmar um die Ergebnisse bzw. Vorschläge ihrer Gespräche bittet. Eine intensive Diskussion entsteht, alle beugen den Oberkörper leicht vor, niemand möchte etwas verpassen. „Wir können nur einen Stock bauen, aber wenn, dann mit Flachdach“, „Wir können die Gebäude kleiner gestalten, nur sechs Klassenzimmer anstatt acht“ oder „Wir gehen nur zur der Regierung in Gorkha und nicht nach Kathmandu, dann ist es günstiger“ werfen verschiedene Lehrer in den Raum. Die Lehrer halten an dem ursprünglichen Konzept fest und versuchen es einfacher und günstiger zu gestalten. Wir fragen, warum unser einfaches, günstigeres und trotzdem erdbebensicheres Konzept keine Beachtung findet. Der Schulleiter erklärt, dass die Regierung die Pläne für diese Gebäude schon nach dem Erdbeben entworfen hat und der gesamten Schulfamilie versprochen hat, es zu bauen. „Aber wir warten seit einem Jahr!“, entgegnet einer der Lehrer empört. "Die Regierung sagt, dass sie auf der Suche nach einem Sponsor für die Gebäude sind.", entgegnet der Schuldirektor daraufhin. Wir können förmlich spüren, dass die meisten Lehrer, außer der Schuldirektor langsam verstehen, dass sie noch lange warten werden, wenn sie weiterhin auf die Regierung vertrauen.

Als einer der Lehrer vorschlägt, dasselbe Gebäude, jedoch mit viel Eigenleistung, für 40.000 Euro zu bauen – weniger als einem Drittel des angegebenen Preises – sind wir entsetzt über diese offene Aussage. „Das ist Korruption!“, schimpft Alexandra. "Niemand von euch hat sich vorher getraut, zu sagen, dass der Preis für die beiden zweistöckigen Gebäude viel zu hoch angesetzt war!" Letzendlich bestätigt das nur unsere festen Vermutungen, aber wir sind trotzdem froh, dass wir dieses Thema nun offen besprechen können. Einer der Lehrer stellt die Bemühung an, uns Respekt zu erweisen, indem er wieder und wieder bekundet, dass alle Hoffnungen auf unserer Arbeit liegen. "Ich will keinen Respekt! Wir wollen Ehrlichkeit von euch!", sagt Alexandra. Auf der Basis dieses Satzes versuchen wir nun die einstöckige, einfache Variante des Schulbaus den Lehrern und Eltern noch einmal zu erklären. Nach und nach verstehen alle, wie sehr wir diese Schule bauen möchten - aber mit ihnen zusammen! Wir wollen nicht einfach ein bisschen Geld auf ein Bankkonto überweisen, Bilder machen und wieder abfahren. Wir versuchen den Menschen klar zu machen, wie sehr uns alle diese Kindern in ihren alten blauen Uniformen am Herzen liegen, und dass SIE unserer Unterstützung bedürfen. "Alle müssen gemeinsam für diese Schule einstehen und Verantwortung tragen. Es reicht nicht, dass wir bei der Regierung sitzen, nett lächeln und einige Worte auf Englisch wechseln. Die Lehrer und die Eltern müssen sich entscheiden, ob sie weiterhin auf das Gebäude der Regierung warten wollen oder ob sie gemeinsam mit uns vor der Regierung für ihre Schule kämpfen wollen," meint Alexandra nun etwas forscher.

Alle sind sich nach kurzer Zeit einig, dass wir morgen gemeinsam zum Bauamt nach Gorkha fahren, um erneut mit dem Beamten zu sprechen. Den ursprünglichen Plan des Ingenieurs werden wir ablehnen, aber die Lehrer und die Eltern "müssen" deutlich sagen, dass sie trotzdem eine Schule in Naya Shanghu bauen wollen. Narayan Boroha, der Elternsprecher, erzählt uns, dass viele der Eltern schon sehr unzufrieden sind und immer wieder fragen, wann denn nun eine Schule gebaut wird. "Diese Eltern brauchen wir morgen bei der Regierung, dann werden sie hoffentlich sagen, wie dringend diese Schule benötigt wird!" Genaue Pläne für das neue Schulgebäude werden wir im Verlauf der nächsten Tage versuchen zu erhalten.
Während alle immer noch aufgeregt diskutieren, sitzt Minraj, der gehbehinderte junge Mann still neben Jürgen und sieht uns zu. Irgendwann greift er dessen Kappe und setzt sie sich selbst auf den Kopf. Seine eigene Schildkappe, die die Buchstaben N-E-P-A-L und die Flagge des Landes ziert, setzt er Jürgen auf den Kopf. "Wir tauschen", meint er einfach und lacht Jürgen an. Der stimmt ihm begeistert zu und beide strahlen stolz mit den neuen Mützen in die Kamera.
Alexandra steht auf und zählt etwas Geld ab, welches sie Minraj kurzerhand vor den Augen aller in die Hand drückt. Dazu sagt sie, dass wir unseren Freunden gerne helfen - egal ob es mit Geld, einem Sack Reis oder einer Wasserleitung ist. Aber wir wollen fair und ehrlich behandelt werden, denn wir fühlen uns wie eine große Familie, nicht wie Geschäftspartner, die miteinander verhandeln.
Minraj hält das Geld zitternd in den Händen und kann nicht glauben, dass es wirklich für ihn ist. Einige Lehrerinnen beginnen zu tuscheln und freuen sich sichtlich für den Behinderten, anderen kann man aus den Augen lesen, dass sie das Gesehene noch nicht richtig einordnen können.
Minraj ist ein treuer Freund, der Jürgen, seitdem er ihn wiedergetroffen hat, nicht mehr von der Seite weicht. Heute lädt er uns zum Chai zu sich nach Hause ein. Auch die Kinder hier und ihre Eltern und  Lehrer sind uns so sehr ans Herz gewachsen, dass wir nicht vor den vielen Versuchen der Korruption und den vielen benötigten Genehmigungen kapitulieren wollen.
Wir setzen uns zu Minraj und den stillen Lehrern und unterhalten uns freundlich, während Narayan, Narayan Boroha, Mingmar und die anderen Lehrer weiter diskutieren. Wir merken, dass sich die Gedanken der Menschen immer weiter verändern, sie beginnen zu verstehen, worum es uns geht.

Mädchentoilette- ein dunkler, übel riechender Raum ohne Abflüsse
Es beginnt zu regnen und bald verstehen wir kein gesprochenes Wort mehr, denn der Regen prasselt so laut auf die Wellblechdächer der Hütte, die wir Lehrerzimmer nennen. Wir sprechen über das einfache Schulgebäude und einen hölzernen Dachstuhl, der das Geräusch des Monsunregens abschwächen soll, da es sonst schier unmöglich ist wie Kinder die Stimme ihres Lehrers unter diesen Umständen noch verstehen sollen. Es donnert laut und wir sind froh, dass wir ein Dach über dem Kopf haben.
Als sich das Wetter schließlich wieder beruhigt- wenn auch nur für einige Stunden- laufen wir los zu dem kleinen Restaurant mit einem einzigen Tisch darin, in dem wir für gewöhnlich zu Mittag essen. Wir genießen den Reis und das Gemüse mit einigen unserer Freunde und laufen, kaum dass wir alle unsere Teller geleert haben, wieder zurück zur Schule. Tiefen Pfützen müssen wir ausweichen und auch die Klassenräume stehen bereits unter Wasser. Narayan Boroha erklärt uns, dass die Schüler manchmal bis zu den Knöcheln im Wasser sitzen. Als wir an einem kleinen zementierten Gebäude vorbei laufen, dessen Türen schon beinahe aus den Angeln fallen und scheinbar nur von einem kleinen Schloss an ihrem Platz gehalten werden, zeigt Narayan darauf und erklärt uns, dass dies die einzige Toilette für die Jungen der 450- Kinder großen Schule sei- ein Stehklo. Er zeigt uns einen anderen, etwa 8qm großen, dunklen Raum. Entsetzt blicken wir hinein. "Der hier ist die Mädchentoilette", meint er. In dem Zimmer gibt es kein Bodenloch, nicht einmal einen Abfluss, lediglich kleine Pfützen und Häufchen befinden sich unansehlich eines neben dem anderen.

Ein leckerer Tee bei Minraj
Als der strömende Regen endlich nachlässt, laufen wir durch das tröpfelnde Nass schließlich los. Der Boden ist aufgeweicht und Jürgen stützt Minraj, denn auf dem rutschigen Boden findet er nur schwer Halt mit seinem Stock. Auch wir rutschen mit unseren Sandalen immer wieder aus, während wir uns bemühen möglichst schnell zu gehen, um nicht komplett durchgeweicht zu werden. Wir kaufen noch mehr Regenschirme und machen uns dann langsam auf den Weg zu Minrajs Zuhause. Unserer Kolonne aus Regenschirmen schließen sich einige Kinder an und sie drängen sich zu uns unter die Schirme. Irgendwann laufen sie dann mit ihren Tüchern über dem Kopf davon, als wir nach rechts abbiegen und an einem schlammigen Hang vorbei an einfachen Hütten und Wasserbüffeln gehen, bis wir schließlich vor Minrajs Haus stehen. Wir ziehen alle unsere vom Regen nassen und schlammigen Schuhe aus und setzen uns vorsichtig auf die beiden Betten in einem der Zimmer. Während der Regen nur langsam nachlässt, trinken wir gemeinsam Chai und Minraj erzählt uns aus seinem Leben. Er zeigt uns Bilder, auf denen er als Absolvent der Universität zu sehen ist, fröhlich - und ganz gesund - strahlt er in die Kamera. Sogar verheiratet war er, doch als er krank wurde, verließ ihn seine Frau. "Because I am not a perfect person", ("Weil ich kein perfekter Mensch bin") erklärt er uns traurig. Er hatte eine strahlende Zukunft vor sich, und jetzt fällt es ihm schwer sich zu artikulieren und sich zu bewegen.
Als wir aufstehen und uns verabschieden, dämmert es draußen schon. Wir müssen uns beeilen, wir wollen auf keinen Fall durch die Dunkelheit laufen. Auch Mingmar meint, dass dies nicht gut sei, da man im Dunkeln leicht auf eine Schlange treten könnte.

Abenteuerliche Nachtfahrt auf der Ladefläche eines LKW's
Als wir wieder an der Straße sind, fährt gerade ein großer LKW an uns vorbei. Wir laufen auf ihn zu und bedeuten ihm, anzuhalten. Narayan und Mingmar reden mit dem Fahrer, und schließlich willigt er ein, uns hinten im Laster mitzunehmen. Wir klettern auf die Ladefläche und Narayan schließt die Klappe und befestigt die Plane wieder. Als wir losfahren, beginnen die Metallstäbe ohrenbetäubend zu klirren, und wir klammern uns an die Stützen. Der Lastwagen holpert über die schlechten Straßen und wir werden komplett durchgeschüttelt. Nur Jürgens Taschenlampe erhellt die Ladefläche. Wir lachen, ein bisschen unwirklich scheint uns die Situation. Wir sind froh, dass wir nicht in der Dunkelheit die drei Kilometer nach Hause laufen müssen, trotz des unangenehmen Transports.
Als wir endlich von der Ladefläche springen, ist es schon dunkel um uns herum. Unsere Unterkunft ist ebenfalls dunkel, immer noch gibt es keinen Strom. Wasser steht auf dem Boden unserer Zimmer, weil eines unserer Fenster kein Glas mehr hat. Fürsorglich hatte Bishnu schon unsere Betten neu bezogen. Mingmar besorgt uns, als es wieder zu regnen beginnt, eine Plastikfolie, die er sorgfälig mit Nägeln am Rahmen befestigt, damit es nachts nicht ins Zimmer regnet. Es kühlt ab, der Regen wäscht all den heißen Staub von den Häusern und den Straßen. Im Zimmer der „Jungs“ sitzen wir auf unseren Betten und löffeln die Nudelsuppe.
Mingmar erzählt uns Geschichten vom Bergsteigen – er ist Sherpa, ein Führer für Trekkingtouren im Himalaya. Viele der Menschen aus seinem Dorf arbeiten als Führer oder Träger. „In jedem zweiten Haus sind schon ein oder zwei Menschen gestorben bei der Arbeit“, sagt er. Jeden Tag auf der Tour leben sie mit dem Gedanken, dass sie jederzeit sterben könnten. Lawinen, Steilhänge, Sauerstoffmangel, jeden Tag arbeiten sie am Limit. Viele Freunde hat er verloren, oder musste sie verletzt den Berg wieder hinunter tragen. Gebannt lauschen wir seinen Geschichten.
Es wird spät heute Nacht, weil wir reden, lachen und gemeinsam singen.

Handteller große Spinnen- Evakuierung
Als wir uns schließlich verabschieden und alle in unsere eigenen Betten kriechen wollen, fällt uns eine Handteller große Spinne auf, die unbeweglich am Fußende von Alexandras Bett sitzt. Stolz zeigen wir sie den Männern und Alois muss einen Fuß neben das Tier halten, damit unsere Freunde zuhause die Größe der Spinne sehen können. Irgendwann wird uns klar, dass wir eigentlich nicht neben einer riesigen Spinne schlafen wollen. Fünf Deutsche und ein Nepalese sitzen mitten in der Nacht in einem dunklen, von Taschenlampen erhellten Raum und überlegen, wie sie möglichst sicher für alle Beteiligten eine Spinne evakuieren können. Mingmar bringt ein großes grünes Tuch und wir alle rufen durcheinander – niemand glaubt, dass wir es schaffen eine Spinne mit einem Tuch zu fangen. Susanne bringt eine große Dose und wir finden einen verknickten Kalender. Alois stülpt die Dose todesmutig über die Spinne. Er hat sie gefangen. Fenja steigt trotzdem lieber auf ihr Bett und betrachtet die Szene von oben, während Mingmar sich auf den Boden legt, um zu sehen, ob auch alle Beinchen sicher in der Dose sind. Susanne faltet eines der Kalenderblätter, aber es dauert lange, bis Alois sich mit der Faltung zufrieden gibt. Ab und zu sehen wir eines der Beine aus der Dose ragen, wenn Alois und Mingmar sie ein bisschen anheben. Als Fenja einmal erschrocken aufruft, meint Mingmar sachlich: „Fenja ruhig! Männer sind Männer.“ Damit ist der Sachverhalt also klar. Irgendwann schaffen wir es, ein Kalenderblatt um die Dose zu wickeln und die drei Männer tragen sie vorsichtig nach draußen – während wir anderen lachend hinterher laufen. „Vorsichtig die Füchse“, ruft jemand im Gang und meint damit die Hunde, die vor unserer Tür schlafen. Ein Lachanfall folgt dem nächsten. Schließlich sind alle wieder in den jeweiligen Zimmern, als Jürgen laut aufruft. Schnell laufen wir Frauen ins andere Zimmer und sehen eine ebenso große Spinne auf Jürgens Kopfkissen sitzen. Der erzählt etwas geschockt davon, dass er schon gestern Nacht das Gefühl hatte, ihm krabbelt etwas den Nacken entlang. Mingmar bringt wieder sein Tuch. Alois und Jürgen sind besorgt, denn die Spinne darf auf keinen Fall entkommen, sonst müssen sie sich die Nacht im Bett zu dritt teilen, mit einer riesigen Spinne, die vielleicht im Nacken kitzelt. Trotzdem meint Alois, dass Mingmar nun seine Methode zeigen solle, nachdem er ihn an den Schultern fasst und fragt: „Mingmar, ich muss jetzt zuerst noch wissen, ob du das schon einmal gemacht hast?“ - Mingmars trockenes „Nein.“ lässt uns erneut laut auflachen. Diese zweite "Spinnen-Evakuierung" ist für Fortgeschrittene, denn die Spinne sitzt halb versteckt auf dem Kissen. Mingmar wirft das Tuch auf sie und versucht sie damit einzuwickeln. Bevor er reagieren kann, läuft sie unter seinen Armen heraus. Jürgen schnappt sich einen Zipfel des Stoffes und wirft ihn wieder auf sie, wickelt sie ein und hält sie vorsichtig in seinen Händen. Wieder laufen wir vorbei an all den schlafenden Hunden auf den Hof und Jürgen schüttelt die Spinne aus dem Tuch. Obwohl wir bald alle in unseren Betten liegen, dauert es lange bis wir ruhig werden und wirklich einschlafen können.

 

Do 26.05.2016 - 08:30, geschrieben von Fenja, veröffentlicht von Frank

Bericht von Tag 6 - Jareber, Naya Shanghu, Gorkha

Luftsprünge für eine Sichel
Während Alexandra, Susanne und Fenja wegen der wenigen kühlen Morgenstunden unter ihrer Decke noch seelenruhig schlafen, sind Alois und Jürgen schon längst unterwegs. Heute morgen gehen sie wieder zum Fluss und besuchen den alten Mann, der dort in der Nähe seine einfache Hütte hat. Eine der Sicheln, die Alois auf der Fahrt von Kathmandu hierher gekauft hat, schenken sie ihm. "Er hat richtige Luftsprünge gemacht!", erzählt Jürgen begeistert und versucht zu beschreiben, wie sehr sich der Mann über dieses simple Geschenk gefreut hat.
Wir beginnen unseren sechsten Tag hier in Nepal wie jeden Morgen mit einer Nudelsuppe, die Bishnu uns kocht. Während uns die Schärfe in die Nase steigt, sprechen wir über die Ereignisse des letzten Tages und überlegen uns, wie wir weiter vorgehen wollen. Wir sind fest entschlossen, eine Schule in Naya Shanghu zu bauen - die Kinder brauchen dringend einen Ort, an dem sie in ruhiger  und trockener Umgebung lernen können. Den fertigen Plan des Ingenieurs ziehen wir erst einmal nicht mehr in Betracht, die Idee Narayan Borohas, dem Elternsprecher, geht uns allen nicht mehr aus dem Kopf. Ein einfaches einstöckiges Gebäude, gemauert mit einer leichten Dachkonstruktion, so sieht unsere Vorstellung der Schule aus.

Spontaner Besuch einer kleinen Privatschule
Ein kleiner Junge, den wir hier schon öfter gesehen haben, läuft in seiner Schuluniform mit einem kleinen Rucksack an uns vorbei. Als wir realisieren, dass er eine braune Hose und eine braungestreifte Krawatte zu seinem hellblauen Hemd trägt, sind wir begeistert. Der Junge geht nicht auf die "Sansari" Schule in Naya Shanghu. Wir rufen nach Mingmar und er fragt den kleinen Jungen, in welche Schule er geht. "Bright Future Academy", antwortet er uns und erklärt, dass er gleich von dem Schulbus dieser Privatschule abgeholt wird. Begeistert blicken wir uns an und sind uns schnell einig, dass wir den Jungen begleiten werden.
Hupend fährt kurz darauf ein gelber Bus vor und wir packen hektisch unsere Rucksäcke und laufen hinter dem Jungen her, der in den Bus steigt. Viele Augenpaare sehen uns überrascht an - sicherlich fahren selten fremde Menschen mit diesem Bus. Alle Blicke ruhen auf uns, viele der Jungen lachen uns frech zu. Die Mädchen wenden oft schüchtern den Blick ab, wenn wir sie ansehen. Nach und nach finden aber alle Gefallen daran, wie wir in dem schaukelnden Bus darum kämpfen das Gleichgewicht zu halten. Wir essen ein bisschen Kardamon gegen die mögliche Übelkeit und sind froh, als wir nach einer halben Stunde endlich auf dem Schulgelände aus dem Bus springen können.
Die Kinder verteilen sich eilig über das gesamte Gelände und verschwinden nach und nach in ihren Klassenzimmern. Erstaunt blicken wir uns um. Die Privatschule sieht genauso aus, wie wir uns unsere Schule vorstellen. Einfache Gebäude, die einzelne Klassenzimmer beherbergen, stehen auf dem weiten Platz. Die Innenausstattung besteht aus Metallbänken und Tischen, sowie einer Tafel.  Am Ende des Platzes befindet sich sogar ein Kindergarten. Aufgereiht stehen die winzigen Schuhe der Kinder in einem kleinen Regal vor dem Raum, der mit einem grünen Teppichboden ausgelegt ist. Erstaunt blicken die Kinder, auf dem Boden sitzend, nach oben in unsere Gesichter, als wir in den Türrahmen treten. Leise schauen sie uns an, während die Betreuerin freundlich ihre Hände faltet und "Namaste" sagt.
Wir verteilen uns über das ganze Gelände und betrachten die verschiedenen Gebäude und Räume. Die Zimmer sind klein, aber ausreichend und der Bau ist einfach, aber passend - wir sind überzeugt. Wir wollen eine solide Schule bauen, aber sie soll sich in ihrer Einfachheit an diese Gebäude anlehnen. Wir wollen keine 150.000 € für ein riesiges zweistöckiges Gebäude ausgeben, sondern uns auf das Gesamtkonzept konzentrieren. Wir überlegen uns, ob wir nicht noch einen Garten mit Fruchtbäumen anlegen können, wo die Klassenzimmer liegen können, damit der große Platz erhalten bleibt und wo wir die Toiletten platzieren können. Der Besuch dieser Schule gibt uns neuen Mut, denn wir sehen mit eigenen Augen, wie eine nepalesische Schule aussieht und wir glauben, dass wir eine ähnliche Schule bauen können.
Froh über die neuen Perspektiven, die uns die "Bright Future Academy" gegeben hat, brechen wir schließlich wieder auf. Wir laufen auf die staubige Straße und nehmen uns vor, das nächste Fahrzeug, dass in unsere Richtung fährt, anzuhalten.
Beinahe eine Stunde später sehen wir endlich in der Ferne unsere Unterkunft. Es ist heiß und wir schwitzen in der Sonne, selbst unter unseren Schirmen. Wir haben kein Fahrzeug ausfindig machen können und laufen daher den gesamten Weg zurück. Langsam gehen wir neben einander her, oft zu zweit unter einem Schirm und unterhalten uns. Immer wieder bricht das Gespräch ab und jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach.

Wasser- Sorge Nummer 1
Als wir auf dem kleinen Hof ankommen, erleben wir die nächste freudige Überraschung: die Wasserleitungsrohre sind bereits geliefert worden. Viele der Dorfbewohner warten auch schon auf uns, sie wollen mit dem Graben für die Leitung beginnen. Ein alter Mann gestikuliert angestrengt mit den Armen und versucht uns etwas zu sagen. Mingmar, der zum Glück auch etwas Zeichensprache versteht, übersetzt. Der Mann hat Angst, denn er hat keine "Unterschrift" geleistet und fürchtet nun, dass er kein Wasser erhalten wird. Erstaunt über seine ernste Sorge, erklären wir ihm, dass es kein Dokument gibt, auf dem alle unterschrieben haben, die Wasser erhalten werden. Das Wasser in dem Sammelbecken ist für alle Dorfbewohner gedacht. Er freut sich sichtlich, als er versteht, dass auch er Wasser erhalten wird. Jedes Mal sind wir wieder ein bisschen überrascht, wenn uns vor Augen geführt wird, wie dringend dieses Wasser benötigt wird. Da wir einige Tage und Nächte Teil des ländlichen Lebens hier in Nepal sind, verstehen wir wie mühsam es ist, Wasser in Eimern in die Toilette zu tragen, damit zu duschen oder zu waschen. Da Bishnu und ihre Familie aber zumindest eine Wasserleitung auf dem Hof besitzen, können wir uns trotzdem nicht wirklich vorstellen, was es bedeutet, unter großer Anstregung jeden Liter Wasser zur eigenen Hütte tragen zu müssen, mehrmals jeden Tag. In vielen Dörfern sehen wir Frauen und Kinder, die ihre Wäsche an den öffentlichen Brunnen im Dorf waschen, weil es schon kräftezehrend genug ist Trinkwasser und Duschwasser zum eignen Haus zu transportieren. Die Dorfbewohner wollen bald anfangen die Leitung zu verlegen und wir versprechen, später am Tag an der Quelle vorbei zu kommen, um zu sehen, wie die Verlegung voran geht. Innerhalb von zwei Tagen wollen sie fertig sein - wir sind gespannt!

Verantwortung können wir nur gemeinsam tragen
Susanne fühlt sich nicht gut und verbringt die nächsten Stunden im Bett, während wir uns auf den Weg nach Naya Shanghu machen, um dort mit einer kleinen Baufirma zu sprechen. Außerdem möchten wir unsere neue Idee noch einmal mit den Lehrern der Schule besprechen, denn es ist uns wichtig, dass hier eine Schule entsteht, die den Anforderungen des Schulalltags gerecht wird.
Wieder schwitzen wir unter unseren Schirmen und sind froh, als wir endlich den kleinen Laden erreichen, der auch Baumaterialien verkauft. Erschöpft sinken wir im Schatten am Rand des Ladens, der voll gestopft ist mit allen möglichen Waren, auf einige Plastikstühle. Wir beschließen zur Erfrischung eine Sprite zu trinken und schenken jedem, der neugierig stehen bleibt auch eine Flasche. Bald ist Alois umringt von Schulkindern, die wohl "gerochen" haben, dass wir Sprite verteilen und in Scharen von der Schule ins Dorf gelaufen kommen. Wir verteilen solange bis die letzte Flasche in den kleinen Händen eines glücklichen Kindes landet und wir nichts mehr haben, was wir noch austeilen könnten.
Der Ladenbesitzer sagt uns zu, dass er Baumaterialien zu einem günstigen Preis bereitstellen kann. Wir wollen uns aber noch nicht festlegen und bei Baubeginn noch einmal Preise verschiedener Anbieter vergleichen.
Erfrischt und voller Hoffnungen gehen wir hinunter zur Schule und in das Lehrerzimmer. Wir bitten darum, ein Gespräch mit allen Lehrern führen zu können und als die Pause beginnt, kommen alle zusammen und wir besprechen die aktuelle Situation. Alexandra malt einen großen und einen kleinen Kreis auf, und schreibt die Zahlen 99 % und 1 % hinein. "Ein % der gesamten Menschheit besitzt soviel wie die restlichen 99 %", sagt sie und fragt, zu welchem Kreis die Lehrer uns Deutsche zuordnen würden. Es entsteht eine kleine Diskussion, bis einer der Lehrer auf den kleinen Kreis zeigt. Es dauert ein bisschen, bis Alexandra mit Mingmars HIlfe erklären kann, dass auch wir nicht zu den wirklich Reichen zählen. Jeder von uns ist auf seine eigenen Kosten hier und muss das restliche Jahr über für die Reise sparen. Wir wissen, dass wir mehr besitzen als die Menschen hier, aber genau deswegen sind wir ja hier - wir wollen teilen und helfen. Aber wir können keine riesigen Gebäude für völlig übertriebene Preise bauen. Wir wollen fair und ehrlich behandelt werden und gemeinsam eine Lösung finden, die für die Lehrer und Schüler passend und für uns bezahlbar ist!
Lange diskutieren wir, versuchen zu erklären, dass wir keine riesigen Gebäude bauen können und es auch nicht für (erdbeben-)sicherer halten und fragen nach alternativen Ideen. Schüchtern meldet sich irgendwann ein Lehrer zum ersten Mal zu Wort und meint "Wir können viel selbst machen." Plötzlich haben alle Ideen. "Wir können Sand und Steine aus dem Fluss holen." - "Die Eltern helfen sicher auch, wenn sie gerade nicht auf dem Feld sind, bei dem Bau." Wir erklären den Eltern und den Lehrern nun, dass wir morgen wieder kommen wollen und bitten sie bis dahin untereinander Ideen auszutauschen und sich Vorschläge zu überlegen. Wir haben das Gefühl, dass die Menschen hier nun anfangen selbst darüber nachzudenken, wie wichtig ihnen und ihren Kindern diese Schule ist und wie das Projekt umgesetzt werden kann. Das freut uns, denn wir wollen nicht einfach ein Gebäude auf den riesigen Platz stellen und dann wieder verschwinden. Dieser Bau soll ein gemeinsamer Prozess sein.

Wie ein Wunder- die Wasserleitung ist fast fertig
Angeregt unterhalten wir auf dem Rückweg nach Jareber über das Projekt und die vielen beteiligten Menschen. Wir überlegen uns, was wir morgen zu den Lehrern und Eltern sagen werden und wie die Besprechung wohl ausgehen wird. Als wir die ersten Häuser Jarebers erreichen, wenden wir unseren Blick auf die Felder in deren Nähe die Wasserleitung entstehen wird - und sind sprachlos.
Auf dem Hang stehen viele Menschen, jeder mit einer Hake und graben eine Vertiefung für die Leitung, die bereits die Hälfte der langen Strecken zwischen Quelle und Sammelbecken überbrückt. Wir sind absolut begeistert von den vielen fleißigen Menschen, die hier den ganzen Tag schon gemeinsam arbeiten. Viele Frauen graben und drei Männer verschmelzen weiter hinten schon das nächste Rohrteil mit dem Rest der Leitung. Die bunten Kleider der Frauen leuchten mit den grünen Reisfeldern um die Wette und alle strahlen uns glücklich, aber erschöpft an. Wir rufen laut, dass wir eine Runde Getränke an alle ausgeben wollen und schnell setzt sich ein langer Zug Menschen in Bewegung. Wir laufen über die Felder, an der noch leeren Sammelstelle vorbei bis zu Bishnus Laden, und verteilen alle Flaschen, die sie in ihrem großen Regal stehen hat. Bald sitzen überall Menschen in kleinen Gruppe oder laufen zurück zu ihren Häusern und alle tragen braune, weiße und grüne Flaschen in ihren Armen. Es ist ein unglaubliches Gefühl, zu sehen, wie sehr sich die Menschen auf diese Wasserleitung freuen und wieviel Kraft jeder Einzelne aufwendet, um das Becken möglichst schnell zu füllen.

Wir schnorren um Strom
Nachdem wir uns kurz ausgeruht haben, fahren wir im Jeep nach Gorkha, denn wir müssen dringend zumindest die wichtigsten elektronischen Geräte aufladen und uns kurz zu Hause zu melden. In einer kleinen Druckerei gibt es noch Strom durch eine Batterie und wir verwenden jede vorhandene Steckdose um Laptops, Kameras und Handys aufzuladen. Leider reicht der Strom nicht aus und einige Steckdosen funktionieren nicht richtig, daher können wir nur wenige Geräte ein bisschen laden. Währenddessen besprechen wir Fenjas Bericht der ersten Tage, und korrigieren und ergänzen sie um einige Informationen. Es ist ein langer Prozess von den Notizen, die Fenja sich den ganzen Tag über macht, bis hin zu den veröffentlichten Berichten mit Bildern auf der Homepage. Wir investieren viel Zeit und viele Gedanken, denn wir wollen die Dokumentation so realitätsnahe wie möglich gestalten.
Mittlerweile sind wir ziemlich ausgehungert und finden zum Glück in der Dunkelheit noch ein erleuchtetes kleines Restaurant, in dem wir zum ersten Mal "Samosas" - kleine frittierte Teigtaschen mit einer scharfen Soße - probieren. Eng aneinander gedrückt sitzen wir auf kleinen Bänken und genießen die außergewöhnliche Mahlzeit. Alois Ausruf "Ach Gott, ist das gut!" lässt uns ihm lachend zustimmen.

Inmitten der Dunkelheit- Autopanne
Gestärkt von diesem leckeren Essen laufen wir zu dem Internetcafe, in dem wir noch einen Chai trinken und uns weiter über das Schulprojekt austauschen. Irgendwann meint Mingmar, dass es spät wird und der Fahrer auch langsam zurück fahren möchte. Wir brechen auf und steigen in unseren Jeep, der langsam durch die Nacht den Berg hinunter in Richtung Jareber holpert. Irgendwann beginnt der Wagen merkwürdig zu quietschen und der Fahrer hält schließlich an. Alle steigen aus und begutachten den Wagen. Der kleine Junge, der immer hinten auf der Ladefläche mitfährt und mit einer Eisenstange den Motor anspringen lässt, wenn wir starten wollen, zieht den hinteren Reifen fest und wir fahren weiter. Doch das Geräusch begleitet uns weiter den Berg hinab und wir halten schließlich wieder. Wir steigen wieder aus und die beiden Jungen beginnen das Rad abzuschrauben. Alexandra legt sich auf die Rückbank und schläft, während wir anderen im Schein unserer Taschenlampen hinter dem Jeep in der Dunkelheit sitzen und warten. Unser Fahrer liegt unter dem Auto und schraubt irgendwelche Teile ab und wieder hin während er Jürgens Kopflampe auf dem Kopf trägt und Mingmar ihm mit seinem Handy von der Seite leuchtet. Es ist stockdunkel mittlerweile und wir werden langsam unruhig. Schließlich schraubt der junge Fahrer das Rad wieder an den  Jeep und wir steigen ein.
Vorsichtig testet er, ob das merkwürdige Geräusch wiederkehrt, aber nur der Lärm des Motors unterbricht die Musik der vielen Zirpen in der Nacht. Wir fahren weiter und dösen vor uns hin. Wir halten wieder, der Fahrer steigt aus. Ein zweiter Jeep steht am Straßenrand und scheint ebenfalls eine Panne zu haben. Die beiden Jungen, in deren Jeep wir sitzen, stehen mit vielen anderen Männern um den anderen Jeep und versuchen im Licht einer Taschenlampe die Ursache für die Panne zu finden. Wir dösen vor uns hin, aber bald kommen immer mehr Männer hinzu und Mingmar versucht den Fahrer davon zu überzeugen, dass wir nun weiter fahren wollen. Er lässt sich lange nicht überreden, und wir werden unruhig, fühlen uns nicht mehr sicher. Ein betrunkener Mann klopft an unser Fenster, lacht Alexandra an. Nervös blicken wir uns an. Endlich steigt der Fahrer wieder ein, dreht den Zündschlüssel und - nichts. Auch unser Jeep springt nicht mehr an. Jetzt fühlen wir uns endgültig nicht mehr wohl. Wir sitzen fest.
Einige der anwesenden Männer versuchen den Wagen anzuschieben, doch die Versuche enden erfolglos. Der Wagen springt nicht an. Erst als der Fahrer den Jeep ein weites Stück zurückrollen lässt und dann alle noch einmal mit vereinten Kräften schieben, erklingt endlich das erlösende Geräusch eines anspringenden Motors. Wir fahren!
Erleichtert lehnen wir uns wieder zurück und sind unglaublich froh, als wir endlich in unserer Unterkunft angekommen sind. Leise schleichen wir uns in unser Zimmer, um Susanne nicht zu wecken, doch natürlich wacht sie auf und ist erleichtert uns zu sehen. Bald liegen wir in unseren Betten, doch trotz der späten Uhrzeit dauert es lange, bis wir endlich einschlafen.

 

Do 26.05.2016 - 08:10, geschrieben von Fenja, veröffentlicht von Frank

Bericht von Tag 5 -- 15. Mai 2016 – Jareber, Naya Shanghu, Gorkha

Ein Nachbeben und: "Der Mensch sollte immer denken: Ich kann das schaffen!"
Diese Nacht ist unglaublich heiß. Die Haare kleben uns an der Stirn und obwohl wir alle Fenster geöffnet haben, können wir kaum schlafen. Unruhig wälzen wir uns im Bett hin und her, während draußen die Hunde bellen. Spät in der Nacht bebt plötzlich die Erde. Ein Nachbeben. Es ist nur ein kleines, aber es reicht aus, um uns erneut an die Katastrophe vom letzten Jahr zu erinnern.
Als wir am nächsten Tag aufstehen, regnet es in Strömen. Die Männer gehen heute nicht zum Fluss, um den alten Mann zu besuchen und zu baden.
Wir sitzen auf unseren Betten, trinken Chai und unterhalten uns über die folgenden Tage. Auf unser Lob für seinen unermüdlichen Einsatz, sagt Mingmar bescheiden, aber mit Nachdruck: „Der Mensch sollte immer denken ‚Ich kann das schaffen!‘ - dann kann man alles leicht erledigen. Wenn man denkt ‚Oh das ist schwierig!‘, dann ist alles viel härter.“ Wie recht er hat, erleben wir bei unserer Arbeit hier jeden Tag.

Wieder erzählt Mingmar von seiner Arbeit als Führer in den Bergen und erklärt uns, dass jeder, der nach Nepal reist, im Durchschnitt jeden Tag vier Nepalesischen Bürgern Arbeit verschafft. Wir freuen uns darüber, denn es ist wichtig, die Wirtschaft des jeweiligen Reiselandes zu unterstützen.
„Der Jeep kommt gleich“, meint Mingmar schließlich, woraufhin wir Frauen schon einmal loslaufen. Wir sind jeden Tag gefordert und wir genießen es trotz der Hitze sehr, einfach ein paar Minuten durch die Natur Nepals zu gehen. Wie viele der Nepalesen schützen wir uns vor der starken Sonne einfach mit einem Regenschirm. In dem Teil der Hütten, den wir als Lehrerzimmer bezeichnen, treffen wir uns alle wieder.
Einige der Lehrer, Eltern und der Schulleiter sind schon anwesend. Außerdem kommt unser Freund Narayan noch dazu. Sie erzählen uns, dass die zerstörten Gebäude letztes Jahr nach dem Erdbeben alleine von den Eltern der Schüler abgetragen wurden. Es gab keine weitere Hilfe. Auch bei dem Aufbau der neuen Schule möchten sie sich wieder beteiligen. Die Tatsache, dass ungefähr 150 Frauen und Männer mithelfen möchten, unterstützt unseren Tatendrang immens. Mit Geld können sie nicht helfen, aber ihre Arbeitskraft wollen sie einbringen.
Der Schulleiter gibt uns ein langes Protokoll auf Nepalesisch in die Hand, unter das wir unsere Unterschrift setzen sollen. Wir fragen nach einer Übersetzung, denn es kommt für uns nicht infrage, einfach unsere Unterschrift unter einen Text zu setzen, den wir nicht verstehen. Da die Lehrer etwas Zeit brauchen, um das Protokoll zu übersetzen, unterschreiben wir zunächst nicht. Wir rufen Frank in Deutschland nach dem Treffen an, denn wir brauchen ein Dokument, das unseren Willen ausdrückt, die Schule zu bauen. Später wollen wir nach Gorkha fahren, um das Schreiben auszudrucken. „Über diesem Platz wird die Sonne leuchten. Diese Schule wird ein heller Platz und ein Beispiel werden für andere Orte auf der Welt. Gemeinsam schaffen wir das!“, sagt Alexandra. Als wir aus dem Lehrerzimmer treten, stehen schon alle Kinder in ihren blauen Uniformen auf dem Platz und sagen ihre Morgenritual auf. Heute müssen wir gleich weiter in die Stadt fahren, um die Schulgebäude weiter zu planen.

Alles ist möglich
Mingmar und Fenja laufen rasch noch zur Schneiderin – denn jeden Abend muss Susanne Fenja aus ihren Kleidern helfen, die so eng genäht sind, dass sie diese alleine nicht über den Kopf ziehen kann. Das junge Mädchen in dem Stoffladen nickt und lacht, als Mingmar das Problem beschreibt. Morgen können wir das geänderte Oberteil abholen.
Auf unserem Rückweg laufen wir an einer kleinen Menschentraube vorbei, die aufgeregt einen Mann beobachtet, der mit einer Zaunlatte um einen Steinhaufen rennt und damit fest auf den Boden schlägt. “Eine Schlange. Er versucht eine Schlange zu verjagen!”, ruft Mingmar Fenja und Alois zu, die neugierig näher getreten sind. Wir sind entsetzt, als der Mann einige Sekunden später eine schmale Schlange hochhält, die leblos in seiner Hand baumelt. Aber Mingmar erklärt uns, dass diese und viele andere Schlangen hier in Nepal giftig sind und die Menschen daher vor ihnen Angst haben.

In der Dorfmitte treffen wir dann wieder auf den Rest des Teams und einige Minuten später steigen wir wieder in den Jeep. Heute nehmen wir allerdings neben dem Schulleiter noch Bishnu, unsere "Zimmer-Vermieterin" mit, da wir mit ihr in der Stadt die Wasserleitung für die ca. 22 Familien kaufen wollen. Alois setzt sich diesmal mutig neben dem Schulleiter auf die Ladefläche des Jeeps. Kurz vor der Polizeistation müssen beide wieder abspringen und laufen ein Stück, bevor wir sie wieder einsammeln und weiterfahren. Der Weg ist holprig und wir sitzen wie jeden Tag eng aneinander gedrückt im Inneren des Fahrraums. Alois ist begeistert von dem frischen Fahrtwind, der ihm hinten auf der Ladefläche um den Kopf weht.
Als wir endlich in Gorkha ankommen müssen wir wieder auf Alois und den Schulleiter warten, denn beide mussten vor der Stadt die Ladefläche verlassen. Wir trinken einen Mangosaft aus der Tüte und gehen mit Bishnu in einen kleinen, sehr voll gestopften Laden, in dem wir verschiedene Rohre betrachten. Wir entscheiden uns für ein qualitativ gutes und breites Rohr, weil wir sicher stellen wollen, dass die Leitung lange hält. Der Ladenbesitzer meint, dass er uns 400 Meter gleich mitgeben kann. Da wir nach gemeinsamer Besprechung mit den Dorfbewohnern allerdings 550 Meter Rohr brauchen, bitten wir den Besitzer bei seinem Lieferant nachzufragen, wie schnell die restlichen 150 Meter nachgeliefert werden können. Als dieser uns sagt, dass es erst in etwa sieben Tagen geliefert werden kann, sind wir etwas enttäuscht. Daraufhin läuft ein Angestellter der Firma los und fragt in verschiedenen Geschäften nach, ob es irgendwo einen größeren Lagerbestand gibt. Nach erfolgloser Suche fragen wir den Ladenbesitzer, ob er seinen Lieferanten nicht noch einmal um eine kürzere Lieferzeit bitten könne. Dieser willigt ein und sagt uns zu, dass er das Rohr in einem Tag liefern kann. Wir sind hocherfreut über diese unerwartete Wendung. Immer wieder erleben wir diese Momente, in denen wir uns erstaunt anblicken, weil wir nicht glauben können, dass alles einfach möglich gemacht wird, auch wenn es zunächst nicht danach aussieht.

Unerwartete Hindernisse - wir geben nicht auf!
Das Rohr soll von einem Sammelbecken aus Beton bis zu der Quelle, die wir gestern am Fuß des Berges besucht haben, reichen. Oben wird es in dem Bachlauf fixiert. Das Wasser wird durch viele kleine Löcher einer alten, umgestalteten Plastikflasche in das Rohr gelangen, sodass kein Sand das Wasser unten im Becken verschmutzt oder das Rohr verstopft. Wir kaufen noch eine große runde Scheibe aus Eisen, mit einem Stiel. Fragend sehen wir Mingmar an, der uns erklärt, dass dieses Eisen im Feuer erhitzt wird und damit zwei Enden einzelner Rohrstücke, die aus Kunststoff bestehen, verschmolzen werden können.
Wir verabschieden uns vorerst von dem Ladenbesitzer, denn wir wollen die 400 Meter Rohr erst heute Abend auf unseren Jeep laden.
Wir suchen ein Internetcafe, um den Brief auszudrucken, denn unser Back-Office, also Frank, für uns geschrieben hat. Wir drücken darin unseren Wunsch aus, eine Schule in Naya Shanghu zu bauen. Den Brief werden wir für die notwenigen Dokumente von verschiedenen Ämtern brauchen. Außerdem laden wir kurz unsere elektronischen Geräte, denn wir haben, wie meistens, keinen Strom in unserer Unterkunft.
Wieder genießen wir ein nepalesisches Mittagessen in einem kleinen Restaurant bevor wir den Berg hinauf zum Bauamt laufen. Verschwitzt kommen wir dort an und werden gebeten noch einige Minuten zu warten, weil der Ingenieur noch beschäftigt ist.
Aufgeregt diskutieren die Nepalesen um uns herum, als wir fragen, ob wir irgendwo Platz nehmen können, um weiter an den Berichten und Bildern zu arbeiten. Kurz darauf werden wir dann in einen Rohbau geführt. Über eine feuchte Betontreppe gelangen wir in den zweiten Stock und Mingmar deutet auf einige Plastikstühle, die in einem kleinen, staubigen Raum stehen. Neben zwei Tischen, auf denen sich riesige Papierstapel an Dokumenten befinden, treffen wir auf vier Nepalesen, die kaum aufblicken, als wir uns dazu setzen. Beinahe mechanisch greifen sie einen Bogen nach dem anderen und füllen ihn mit roten Stiften aus. Wir können nicht lesen, was auf den Blättern steht, aber meist setzen sie Haken oder Kreuzchen in verschiedenen Kästchen. Einer dieser Männer ist der Schulleiter der Schule in Naya Shanghu. Wir versuchen die Plastikstühle wenigstens ein bisschen von dem Zementstaub zu befreien, der auf allem hier zu liegen scheint und setzen uns. Während wir an der Dokumentation unserer Reise arbeiten, kommt Mingmar wieder mit dem "Mutual Agreement" auf uns zu - die Unterschrift scheint wirklich notwendig zu sein. Diesmal hat er einen kurzen Text auf Englisch dabei, den wir unterschreiben sollen. Der Inhalt ist knapp, beschrieben wird, dass wir uns mit der Schulleitung darauf geeinigt haben zwei Schulgebäude mit 8 Zimmern zu bauen. Skeptisch sind wir jedoch gegenüber der Auflistung der Wünsche - wir sollen uns dazu verpflichten, neben den 15 Klassenzimmern, noch einen Computerraum, eine Bibliothek, ein Lehrerzimmer, ein naturwissenschaftliches Labor und einen Spielplatz mit fester Begrenzung zu bauen. Außerdem wird eine Trinkwasserversorgung vorgeschlagen.
Alexandra meint sofort, dass wir diese Vereinbarung so nicht unterschreiben werden. Wir wollen dafür sorgen, dass die Kinder der Sansari Mahendra Higher Secondary School einen wetterfesten und erdbebensicheren Ort zum Lernen haben, aber für alles Weitere werden wir uns nicht verpflichten. Zunächst streichen wir die explizite Raumgestaltung aus der Vereinbarung, aber letzendlich beschließen wir, eine neue Vereinbarung aufzusetzen, die auch der Schulleiter unterschreiben muss und die einige Bestimmungen unsererseits enthält.
Der Ingenieur kommt dazu, als wir gerade darüber diskutieren, ob wir eine grobe Preisvorstellung festlegen wollen. Wir rechnen mit ungefähr 100.000 Euro, da der Beamte im Bauamt uns mit 75.000 Euro eine grobe Vorstellung der Baukosten gab, und wir aber für weitere Arbeiten immer noch etwas mehr Geld einrechnen. Als wir den Ingenieur bitten, uns diese Summe zu bestätigen, meint er, dass 75.000 Euro der Preis eines Gebäudes sei, und beide zusammen also 150.000 Euro kosten werden. Sprachlos sehen wir ihn an. Das ist eine riesige Summe, die wir unmöglich für eine einzige Schule in Nepal aufbringen können - außerdem scheint es uns viel zu teuer. Baumaterialien und auch die Arbeitskräfte sind hier wesentlich günstiger als in Europa.
Diese Wendung macht uns fassungslos. Wir fragen den Ingenieur nach einfacheren Gebäuden oder günstigeren Bauweisen, aber er meint nur, dass es zwar andere schon vorgezeichnete Pläne gibt, dass wir diese aber erst einmal von der Regierung genehmigt bekommen müssen.
Alexandra ruft bei unserem Back-Office Frank an und bespricht sich mit ihm, um noch einmal eine unabhängige Meinung zu dem Thema zu erhalten.

Wir beschließen erst einmal überhaupt nichts zu unterschreiben, denn wir können nicht verstehen, warum diese beiden Gebäude so teuer sein sollen und warum wir das jetzt schon unterschreiben sollen. In Ruhe wollen wir darüber sprechen, ohne den Ingenieur, der im Hintergrund fast ein bisschen beleidigt auf einem Plastikstuhl sitzt und schließlich noch vor uns den Raum verlässt.
Angeregt diskutierend laufen wir zu einem Cafe, in dem wir einen Chai bestellen und uns gemeinsam an einen Tisch setzen und die Lage besprechen. Es ist ein ernster Moment, alle beugen sich aufmerksam nach vorn und alle versuchen jedes Wort der anderen zu verstehen. Schnell ist für uns klar, dass wir diesen Preis nicht bezahlen werden. 150.000 Euro ist ein stolzer Preis für ein Schulgebäude in einem sehr armen Dorf in Nepal. Den Plan des Ingenieurs legen wir auf den Tisch, blättern ihn wieder und wieder durch und diskutieren über die Größe und Anzahl der Klassenzimmer, als der Elternsprecher der Schule Narayan Bohora schüchtern an unseren Tisch kommt und uns ein Bild entgegen streckt. Auf Englisch sagt er: "Vielleicht könnte man das Gebäude so gestalten?" und wir blicken neugierig auf das Bild. Es zeigt eine Stein- Holzkonstruktion für ein einstöckiges Gebäude.
Wir sind von dem Vorschlag sehr angetan. Das ist genau die Art von Schule, die wir uns vorgestellt haben. Verschiedene einfache Gebäude mit zwei oder drei Klassenzimmern mit direktem Zugang zum Hof ohne Gänge, Treppenhaus etc.. Das kleine Bild gibt uns neuen Aufschwung und wir diskutieren bis es draußen schon dunkel wird.
Alois zeichnet seine Idee auf: der große Platz vor den jetzigen Überdachungen bleibt bestehen, und genau dort, wo sich jetzt die Wellblechdächer über die letzten Pfützen des Monsunsregens spannen und die Kindern lernen sollen, können nach und nach die einzelnen Gebäude in einer U-Form um den Platz entstehen. Fenja schlägt vor, morgen eine schon bestehende nepalesische Schule zu besuchen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was hier der Standard an den Schulen ist. Wir beschließen, uns so viel Zeit für die Planung des Gebäudes zu nehmen, bis alle mit dem Vorschlag einverstanden sind und ihn für gut befinden, denn wir wollen sicher stellen, dass am Ende eine Schule auf diesem Platz entsteht, die den Bedürfnissen der Schüler und Lehrer gerecht wird, aber vor allem keinen unnötigen Luxus beinhaltet.
Die Besitzer des Cafes bitten uns irgendwann zu gehen, da es schon spät ist und wir verabschieden uns. Auf der Fahrt nach Hause unterhalten wir uns weiter über die Anzahl und Anordnung der Klassenzimmer, die Schüler- und Lehrerzahl und alle anderen wichtigen Daten.
Gemeinsam sitzen wir über unseren Tellern mit scharfer Nudelsuppe und reden über den teuren Preis, das zweistöckige Gebäude, das niemand wirklich braucht und die nahe liegende Möglichkeit, dass sich jemand an unserer ehrenamtlichen Arbeit bereichern wollte. Alois unterbricht unser Gespräch mit seinem begeisterten Ausruf "Mann war des gut!" - auch wenn wir jeden Morgen und beinahe jeden Abend diese Nudelsuppe essen, die tatsächlich nur eine Fertigmischung ist, die Bishnu mit einigen Zwiebeln und Gewürzen verfeinert, genießen wir sie jedes Mal.
Als wir schließlich in unsere Zimmer verschwinden, uns im Schein der Taschenlampen waschen und umziehen, ist nichts mehr übrig von den enttäuschten Gefühlen im Bauamt heute Mittag. Wir sind überzeugt von unserem neuen Konzept und bereit, uns schon morgen dafür einzusetzen. Wir wollen den Kindern in ihren abgenutzen blauen Schuluniformen eine Schule bauen!

 

So 22.05.2016 - 07:30, geschrieben von Fenja, veröffentlicht von Frank

Neue Berichte

Tag 3 – 13. Mai 2016 – Naya Shanghu (Ort der Schule), Jareber (Ort unseres „Hotels“), Gorkha

Angenehm frisch ist es, als wir am nächsten Morgen aufwachen. Die Vögel zwitschern diesmal nicht nur vor unserem Fenster, sondern auch mitten in unserem Zimmer, denn wir haben ein kleines Schwalbennest an der Decke. Susanne steht früh auf und geht spazieren, während die Männer aufbrechen und zu dem Fluss Darodi laufen, um dort zu baden. Wir treffen uns schließlich alle bei einem Teller Nudelsuppe zum Frühstück und alle erzählen begeistert von ihrem Morgen. Susanne schwärmt von der Offenheit der Menschen hier und von den vielen tollen Momenten, die sie während ihrem kurzen Spaziergang erlebt hat. Jürgen und Alois erzählen von einem alten Mann, der unten am Fluss lebt und ihnen und Mingmar eine tolle Stelle zum Baden im kalten Wasser gezeigt hat, bevor er sie schließlich zum Chai in ihr Haus eingeladen hat. „Frische Büffelmilch hat er verwendet!“, schwärmt Alois. Der Mann hat uns sogar zum Mittagessen eingeladen und wollte eines seiner Hühner schlachten, die er immer wieder aus seinem Haus scheuchen musste. Wir lehnen dankend ab. In bester Stimmung und mit einer leckeren Suppe beginnen wir diesen Tag.
Als Narayan uns schließlich abholt, packen wir schnell unsere kleinen Rucksäcke zusammen und laufen los. Er erzählt uns, dass wir nun ungefähr drei Kilometer laufen, bis zu dem Ort, an dem mit der Hilfe des FriendCircle WorldHelp eine Schule entstehen soll. Wir laufen an der Stelle vorbei, wo uns gestern all diese wundervollen Menschen begrüßt haben, und Jürgen und Alexandra erzählen uns, dass sie genau hier letztes Jahr kurz nach dem schweren Erdbeben gezeltet haben.
Schon auf dem Weg treffen wir auf viele Kinder in blauen Schuluniformen, die uns den ganzen Weg über begleiten. „What’s your name?- Wie heißt du?“, werden wir immer wieder gefragt, und die Kindern laufen fröhlich um uns herum. Wir sind ein bisschen verwirrt, denn es scheint bereits eine Schule zu geben.
Narayan zeigt auf einige neu glänzende Wellblechdächer und erklärt Mingmar etwas auf Nepalesisch. Noch bevor dieser dazu kommt, uns das Gesagte zu übersetzen, begreift Alexandra worum es geht und lacht erfreut auf. „Das sind UNSERE Dächer! Das sind die Wellblechdächer, die wir letztes Jahr gekauft haben! Jürgen, das sind UNSERE Dächer!“, ruft sie. Wir sind begeistert und während wir weiter laufen, sehen wir immer wieder die Wellblechdächer, die der FriendCircle WorldHelp gespendet hat, auf den kleinen Hütten glänzen. Immer wieder zeigen wir darauf, weisen uns gegenseitig darauf hin und freuen uns. Gestern haben uns die Menschen erklärt, dass unsere Hilfe so viele Leben gerettet hat – heute können wir es im Tageslicht selbst sehen. Es ist ein unglaubliches Gefühl, das wir hoffen, mit nach Deutschland tragen zu können. Denn WIR alle haben diese Leben hier gerettet, alle unsere Freunde zu Hause und auf der ganzen Welt.
Irgendwann biegen die Kinder ab und wir laufen alleine bis zum Ende eines Dorfes. Narayan ruft plötzlich, wir sollen auch links abbiegen, und ein kleiner steiniger Weg führt uns zurück an die Seite des Dorfes, auf einige Blechhütten zu. Auf einem großen Platz sehen wir schon von weitem wieder die blauen Uniformen der Kinder. Als wir näher kommen, sind wir schon bald wieder umringt von den nepalesischen Kindern. Sie spielen Hüpfspiele, rennen umher und werfen Frisbeescheiben oder bunte Ringe. Der Platz ist gesäumt von einfachen Blechhütten ohne Wände. Bambuskonstruktionen halten das Wellblech über vielen Metallbänken und Tischen, die eng beieinander stehen. Schutt und Steine liegen überall um die Hütten verstreut. Nur der große Platz vor den Hütten ist frei.
Wir verstehen sofort, warum es notwendig ist, hier ein Schulgebäude zu bauen. Mingmar erzählt, dass es im Winter bis zu 5° C kalt wird – die Schule fällt dann natürlich trotzdem nicht aus. Wir können uns nicht vorstellen, was es bedeuten muss, bei Kälte und Regen in diesen Hüttchen zu sitzen und zu versuchen, verschiedene englische Verbformen von „to be“ zu lernen.
Kurz werden wir in das Lehrerzimmer gebeten, wo alle respektvoll die Hände falten und „Namaste“ sagen, als wir eintreten. Wir erwidern die Geste und setzen uns. Der Schulleiter stellt sich vor und die Lehrer und Lehrerinnen blicken uns neugierig an. Um 10.00 Uhr beginnt normalerweise der Unterricht, daher bittet uns der Schulleiter auf den Hof, auf dem sich schon alle der heute anwesenden 350 Kinder aufgestellt haben, in Reihen nach Größe und Geschlecht geordnet.
Auf die englische Anweisung eines älteren Schülers hin, strecken sie die Arme zu allen Seiten und sagen dann gemeinsam im Chor einen Morgengruß auf – die Hand auf dem Herzen. Ein kleines Mädchen steht direkt vor uns, schließt die Augen und drückt sich fest die Hand auf ihr Herz, ihre dunklen Zöpfe, die von einem leuchtend roten Band zusammen gehalten werden, wippen während sie inbrünstig Worte spricht, die wir nicht verstehen. Nur das Wort „Nepal“ verstehen wir während des melodischen Gesangs.
Der Schuldirektor spricht einige Worte zur Begrüßung und wir bekommen einen weißen Schal, der bunt mit vielen nepalesischen Schriftzeichen bedruckt ist. Mingmar erklärt uns später, das dies ein nepalesische Geschenk zur Begrüßung ist.
Nun beschreibt der Schulleiter die Situation nach dem Erdbeben. „Viele Hilfsorganisationen kamen nach Nepal und haben viele Fragen gestellt. Viele Worte haben sie gesprochen, aber nie folgten Taten. Was wir brauchen sind Taten, keine Worte“, erklärt er auf Nepalesisch. Er sagt, dass wir uns ihren Respekt für ihre gesamte Lebenspanne verdienen werden, denn sie setzen all ihre Hoffnungen in uns. Alexandra sagt daraufhin, dass wir nicht mehr länger warten wollen. „Lasst uns jetzt anfangen, nicht morgen!“, meint sie. Als Mingmar das übersetzt, lachen uns alle ungläubig an. Die Lehrer versichern uns, dass niemand unser Projekt unterbrechen wird, alle wollen mithelfen. „Niemand wird eurem Projekt im Weg stehen“, meint einer von ihnen zu uns auf Englisch. Alle sind unglaublich dankbar, obwohl wir noch nicht einmal mit dem Bau begonnen haben, unbewusst senken wir ein bisschen unsere Köpfe, beinahe beschämt von so viel Dankbarkeit, die uns allein für unsere Anwesenheit entgegen gebracht wird.
Alexandra sagt, dass wir schon zum zweiten Mal in der Nähe von Gorkha  sind und beschreibt die erste Reise nach dem Erdbeben. Als sie fragt, wer sich an sie und Jürgen erinnert, heben viele der Kinder die Hände. Sie erzählen davon, dass sie Wasser und Nahrungsmittel von uns erhalten haben. „Nepal ist ein wundervolles Land“, wiederholt Alexandra zweimal, bevor sie sich direkt an die Schüler richtet: „und ihr seid die Zukunft dieses Landes!“. Sie fragt die Kinder, ob sie eine Schule wollen. Zuerst rufen sie einige Worte zögerlich, nachdem wir dann aber lernen, was „ich möchte eine Schule“ auf Nepalesisch heißt, rufen wir es gemeinsam mit allen Kindern - „Homelai school boneidenus“ schreien die 350 Kinder der Sansari Mahendra Higher Secondary School. Danach schicken die Lehrer sie in ihre Klassenzimmer, denn der Unterricht beginnt. Die kleinen Hütten und die schmalen Metallbänke füllen sich mit Kindern, eng neben einander sitzen sie und  haben kaum Platz für ihre Füße. Die Altersspanne der Schüler reicht von vier Jahren bis einschließlich 17 Jahren in der letzten Klasse.
Wir gehen zurück in das Lehrerzimmer und besprechen das weitere Vorgehen. Gemeinsam werden wir nun nach Gorkha fahren, um den Ingenieur und den zuständigen Regierungsbeamten zu treffen.
Als wir auf dem freien Gelände stehen besprechen wir, wie die neue Schule aussehen soll. Mehrere Gebäude sollen entstehen, die in 15 Klassenzimmern Platz für alle 450 Schüler und deren 18 Lehrer bieten soll. Noch ist der Unterricht der verschiedenen Altersgruppen zu unterschiedlichen Zeiten organisiert, da nicht genug Platz für alle Schüler in den Gebäuden ist. Die Ältesten treffen wir heute nicht, ihr Lehrer, Madhu Bhattari, erklärt uns, dass sie heute in der Stadt sind, um eine Prüfung abzulegen.
Auf dem Rückweg in das Dorf laufen wir an der Bambushütte vorbei, die als Klassenraum für die älteren Schüler dient. Der Schulleiter erklärt uns, dass ein Schweizer, der kurz vor dem Erdbeben nach Nepal kam, um hier eine Rundreise zu machen, sie mit eigenen Mitteln aufgebaut hat. Als er das Leid der Bevölkerung nach dem Erdbeben sah, verzichtete er auf seine Reise und spendete das Geld für den Bau dieser Gebäude. Es motiviert uns zu sehen, wie viel eine einzige Person verändern kann – denn wir wissen, dass wir im Gegensatz zu ihm nicht alleine sind, sondern einen riesigen Kreis an Freunden haben, die alle gemeinsam mit uns etwas verändern wollen.
Wir machen eine kleine Pause für kalte Getränke und Chai und sitzen mit unseren Freunden zusammen. Als ein alter Mann den Raum betritt, stellt Narayan ihn als seinen Vater vor – und Alexandra ruft überrascht: „Ich kenne diesen Mann! Ich haben ihn letztes Jahr öfter fotografiert. Er war so freundlich, bedankte sich immer wieder und sein Lächeln war so anmutig und bescheiden. Aber ich wusste gar nicht, dass er dein Vater ist“. Der alte Mann faltet immer wieder seine Hände und blickt uns tief in die Augen. Als er schon lange wieder gegangen ist, zeigen wir Narayan unseren Newsletter, weil dieser nach Michaels „Medical camp“ in der Region Sunkhani fragt und plötzlich zeigen alle aufgeregt auf eines der Bilder aus Nepal – sie haben ein Bild des Vaters im Newsletter entdeckt.
Nachdem der Jeep „gleich“ (nach nepalesischer Zeit gemessen) da ist, fahren wir nach Gorkha. Einige Lehrer, der Schulleiter und unsere Freunde Narayan und Mingmar begleiten uns. Eng ist es wieder zu viert auf der Rückbank, und nachdem zwei von uns neben dem Fahrer sitzen, ist wirklich kein Platz mehr im Jeep. Narayan und die Lehrer steigen auf die Ladefläche des Jeeps und fahren dort mit. Kaum sind wir einige Meter außerhalb des Dorfes, beginnt es wieder zu regnen.  Narayan und die Lehrer sitzen geduckt und eng beieinander unter ihren bunten Regenschirmen und versuchen dem Regen und dem Fahrtwind so gut wie möglich zu trotzen.
Das Landleben in den Bergen Nepals zieht an unseren Fenstern vorbei. Viele Reisfelder leuchten grün neben dem Fluss, der sich zu unserer Linken durch das Tal windet. Unterhalb einer Brücke haben einige Männer ihren Bus in die Furt gefahren und waschen ihn nun mit großen Schüsseln Flusswasser sauber. Einige Häuser weiter sitzt ein Mann aufrecht unter einem Bus und repariert ihn.
Plötzlich halten wir an. Der Fahrer winkt den anderen, von der Ladefläche abzusteigen. Wir fahren weiter, verwirrt blicken wir uns um. Mingmar erklärt, dass wir nun an einer Polizeistation vorbei fahren, und es nicht erlaubt ist, Personen auf der Ladefläche zu transportieren. Einige Kurven weiter halten wir wieder und warten. Bald sehen wir den Schulleiter auf uns zu rennen. Alle steigen wieder auf und wir fahren weiter.
Die Nepalesen sind clever, finden ihren Weg, äum Regeln, die im Alltag keinen Sinn für sie machen, zu umgehen.
Irgendwann erreichen wir die geteerte Straße, die uns bald nach Gorkha führt. Steil bergauf geht es noch einmal innerhalb der Stadt, die uns seltsam voll und hektisch vorkommt, im krassen Gegensatz zu dem ruhigen Landleben, das uns heute seit dem Aufstehen begleitet hat. Wir erreichen einige hohe, einfache Gebäude, die beinahe wie eine Baustelle aussehen. Nach einigen Besprechungen leiten uns unsere nepalesischen Freunde in den ersten Stock, in dem wir ein Zimmer betreten, das offensichtlich das Büro eines Beamten ist. Ein einfacher grüner Teppichboden liegt in dem sonst sehr kahlen Büro und ein ordentlich zurecht gemachter Mann sitzt hinter dem einzigen Schreibtisch im Zimmer. Er ist derjenige hier, der entscheidet, ob ein Bauprojekt umgesetzt werden darf. Die Wand hinter ihm schmückt eine riesige Karte von Nepal, ansonsten stehen noch viele Stühle in dem Raum, der gleichzeitig als Büro und Wartezimmer genutzt wird. Eine rote Thermoskanne steht auf einem kleinen Beistelltisch, deren Sinn uns erst offenbart wird, als einer der Wartenden sie ergreift und sich etwas Tee in den Mund laufen lässt – natürlich ohne die Kanne mit den Lippen zu berühren. Diese Art zu trinken hat Mingmar uns schon am ersten Tag in Kathmandu gezeigt, denn sie ermöglicht es uns, alle aus einer Flasche zu trinken ohne fröhlich unsere Bakterien auszutauschen. Respektvoll treten verschiedene Männer neben den Schreibtisch, überreichen eine Mappe oder Pläne und sprechen mit dem Beamten, der sie ruhig ansieht. Immer wieder führt er Telefonate und es dauert, bis wir schließlich unser Vorhaben vorstellen können.
Mingmar stellt uns vor, doch der Beamte möchte zunächst, dass Alexandra vortritt und uns alle auf Englisch vorstellt. Sie nennt ihren Namen und stellt der Reihe nach das ganze Team vor. Reserviert, aber wohlwollend blickt uns der Beamte an. Alexandra zeigt den Dankesbrief der Nepalesischen Regierung über die Arbeit des FriendCircle WorldHelp im letzten Jahr und überreicht einen Wimpel der Stadt Bamberg, den unsere Freundin Maria im Vorfeld vom Büro unseres Oberbürgermeisters Andreas Starke abgeholt hatte. Der Beamte freut sich sehr über den Gruß aus dem Bamberger Rathaus und auf Englisch sagt er, dass er unser Projekt unterstützen wird. Die Details werden auf Nepalesisch besprochen und Mingmar übersetzt für uns ins Deutsche. „Die Dokumente sind kein Problem, ich werde euch helfen, dass sie ausgestellt werden“, meint der Beamte. Trotzdem müssen wohl noch viele Dinge besprochen werden, und Alexandra beschreibt, wie wichtig es ist, dass uns der Beamte auch mit seinem ganzen Herzen unterstützt – nicht nur mit den Dokumenten. Der Mann lächelt und für einen Moment spielt die Uniform, die er trägt, keine Rolle mehr.
Er verspricht uns, die Dokumente so schnell wie möglich auszustellen und erlaubt uns, nachdem alle Dokumente bearbeitet sind, sofort mit dem Bau zu beginnen. Einige Tage wird es dauern, bis alle Unterlagen hier in Gorkha ausgefüllt sind und wir werden auch noch einmal nach Kathmandu fahren, um die letzten Formulare zu erhalten. Noch können wir nicht überblicken, wieviele Dokumente tatsächlich ausgefüllt werden müssen, aber unsere nepalesischen Freunde versprechen schon jetzt, uns auf die Ämter zu begleiten und zu übersetzen. Hier zeigt sich wieder, wie sehr Mingmar unsere Arbeit hier vereinfacht, da er direkt von Nepalesisch auf Deutsch übersetzen kann und wir dadurch so viel Zeit sparen.
Zufrieden gehen wir in das benachbarte Gebäude, gemeinsam mit dem Ingenieur, der uns die bereits fertiggestellten Pläne vorlegt. Wir fragen nach der Erdbebensicherheit der Gebäude, den geplanten Bauphasen und versuchen, die Raumaufteilung anhand der Pläne zu verstehen. Schließlich befinden wir die Pläne des Ingenieurs für gut, und besprechen, gleich morgen mit den Vorarbeiten anzufangen. Zwei große Gebäude sollen über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren entstehen. Jedes der Häuser soll auf zwei Stockwerken insgesamt acht Klassenzimmer beherbergen. Sanitäre Anlagen werden separat entstehen. Aus Sicherheitsgründen werden wir zwei voneinander getrennte Gebäude bauen. Mingmar verspricht, während der Anfangsphase hier zu bleiben und den Bau zu beobachten. Außerdem wollen wir regelmäßig in kleinen Teams aus Deutschland nach Nepal kommen, um die Abrechnungen zu machen, den Fortschritt zu überprüfen, zu dokumentieren und neu Geld einzusetzen. Insgesamt rechnen wir derzeit , für die geplante Bauweise, mit einem finanziellen Aufwand von umgerechnet ca. 100.000 €. In jedem freien Moment überlegen wir, wie wir das Projekt am besten betreuen können und wie wir es möglichst bekannt machen können. Schon jetzt ist für uns alle klar, dass wir wiederkommen werden – spätestens in zwei Jahren, um gemeinsam mit Schülern, Lehrern und Eltern die Einweihung zu feiern.
Kurz gehen wir noch zurück zu dem Beamten und machen auf dem Dach des Gebäudes gemeinsam ein Bild – mit dem Wimpel der Stadt Bamberg und der Flagge Nepals. Die Flagge des Landes ist die Einzige auf der ganzen Welt, die kein Rechteck ist, sondern aus zwei Dreiecken besteht, was die bergige Landschaft symbolisiert. Die Sonne und der Mond darauf heißen: "Solange die Sonne und der Mond bestehen, wird auch Nepal bestehen".
Als wir wieder im Auto sitzen und durch Gorkha fahren, ruft Alexandra plötzlich laut: „Stopp. Stopp, da ist jemand, den ich vom letzten Jahr kenne.“ Als der Fahrer nicht schnell genug hält, springen wir aus dem noch fahrenden Wagen und Alexandra rennt dem alten, gebückten Mann hinter her. Er erkennt sie und sie begrüßen sich. Als wir die beiden erreichen, besprechen sie schon, was wir ihm für seine Familie kaufen können. Wir entschließen uns für einen großen, 25-Kilo- Sack Reis, den der Mann glücklich auf seinem Rücken den Berg hinauf trägt. „Er verdient nur sehr, sehr wenig und muss eine ganze Familie damit ernähren“, erzählt Alexandra, die den Mann von ihrem letzten Besuch in Nepal kennt.
Es ist schon nach vier, als wir endlich Zeit für ein spätes Mittagessen finden. Heute gibt es gebratene Nudeln in einem kleinen Lokal in Gorkha. Gegenüber ist eine Tankstelle, mit nur einer Zapfsäule. Mingmar meint, dass diese wohl kaputt gegangen zu sein scheint, denn es warten mindestens 30 Motorräder mit Fahrern darauf, ihren Tank wieder befüllen zu können.
Wir trinken einen Mangosaft aus der Packung und genießen mindestens einen Teller der leckeren Nudeln. An den Wänden des Lokals hängen Poster, die Sydney zeigen und Aufschriften wie „the real joy is freedom- Die wahre Freude ist Freiheit“ tragen. Seltsam fehl am Platz wirken sie hier, wie auch das große Poster des weißen Babys neben der Tür, die in den Garten führt.
Wir trinken einen Chai nach dem Essen und wollen aufbrechen, als Mingmar sagt, dass der Wagen noch nicht da ist. Jürgen und Fenja beschließen, noch einen zweiten Chai zu trinken, denn alle sagen uns, dass der Wagen „gleich“ hier sein wird, was wie immer bedeutet, dass es länger dauert. Die Straße ist blockiert. Aufgebracht sagt Narayan, dass einige Straßen weiter unten ein Unfall passiert ist, ein Kind starb. Mingmar erzählt, dass ein Todesfall im Straßenverkehr immer für viel Aufregung sorgt. Trauer und Schuldzuweisungen, Diskussionen um Geld, alles wird direkt auf der Straße besprochen.
Unser Fahrer meint, wir können trotzdem versuchen an dem Unfall vorbei zu fahren. Doch je näher wir der Unfallstelle kommen, desto mehr Wagen kommen uns wieder entgegen und die Leute deuten, uns wieder umzudrehen. Wir besprechen uns kurz und drehen wieder um – es gibt einen weiteren Weg, den Narayan als „schon ein bisschen gefährlich“ beschreibt. Uns bleibt allerdings nichts anderes übrig, denn die Menschen erzählen uns, dass heute an der Unfallstelle kein Durchkommen mehr sein wird. Da wir die Nacht nicht in Gorkha verbringen wollen, entscheiden wir uns für den anderen Weg.
Wir fahren noch ein wenig bergauf in der Stadt, bis wir schließlich links abbiegen und es steil bergab geht. Wieder lassen wir die geteerten Straßen hinter uns und bald säumen nur noch sehr einfache Lehmhäuser unseren Weg. Die Menschen blicken uns neugierig an, auf dieser Straße sind sicherlich selten europäische Menschen unterwegs. Die „Straße“ ist bald nur noch ein sandiger Weg voller Schlaglöcher und Wellen. Wir hüpfen im Auto hin und her, stoßen uns Knie, Arme und Beine überall an und sind froh, dass wir so eng beieinander sitzen und nicht viel Platz haben, um nicht von unseren Sitzen zu rutschen. Immer wieder geht es extrem steil nach unten und statt der Bäume und dem entfernten Horizont füllt der steile Weg vor uns das gesamte Blickfeld der Windschutzscheibe aus. Jürgen entdeckt Affen in einem Baum und wir lachen über Fenjas verzweifelte Versuche, während der Fahrt aus einer Wasserflasche zu trinken.
Wir fahren vorbei an roten Lehmhäusern mit hellblauen Fensterläden und Frauen und Kindern in bunten Kleidern winken uns vom Straßenrand aus zu, während wir damit beschäftigt sind, auf der holprigen Fahrt, nicht unsere Köpfe aneinander zu schlagen. Irgendwann müssen wir rückwärts den Berg hinunter fahren, da die Straßen in engem Zickzack verlaufen und wir sonst später den restlichen Berg rückwärts fahren müssten. Gespannt blicken wir alle durch die Rückscheibe. Alles klappt gut, und bald fahren wir wieder vorwärts durch Löcher und Schlamm und lachen über den Irrsinn dieser Situation. „Man erlebt doch immer wieder etwas Neues“, meint Alexandra.
Etwa eine Stunde später erreichen wir das Tal und fahren wieder vorbei am Fluss, in dem nun ein Traktor gewaschen wird, zurück zu unserer Unterkunft. Erleichtert springen wir aus dem Auto, trinken Chai und Mingmar zeigt uns, wie er Wäsche wäscht, natürlich mit der Hand und einem Stück Seife in einem Eimer mit kaltem Wasser. Als es dunkel wird, sitzen wir alle beisammen und genießen den lauen Abendwind, besprechen die nächsten Tage bis unser Gespräch abschweift und wir über unsere Erlebnisse hier und unser Leben daheim in Deutschland sprechen. Während ich den Bericht schreibe, rennen Ameisen über den Tisch und ich hebe erschrocken meine Hände, als eine kleine Kakerlake über die Tastatur läuft. Direkt neben uns kocht die Hausbesitzerin Abendessen und die Kinder stehen immer wieder hinter mir und blicken neugierig auf den Bildschirm. Ein paar Häuser weiter singt eine Frau.
Alois ruft nach Mingmar, doch der isst gerade. Also bringt Alois kurzerhand einen alten Mann zu uns, der uns erzählt, dass sein Haus während des Erdbebens total zerstört wurde und er immer noch mit seiner Frau in einem Zelt lebt. Wir versprechen ihm, morgen mit ihm zu seinem Haus zu kommen. Glücklich umarmt er Alois.

Tag 4 – 14. Mai 2016  – Jareber, Naya Shanghu

Durch das kleine Fensterloch im Ein-Meter großen Betonhäuschen unserer „Regendusche“, wie wir den kalten Eimer Wasser liebevoll nennen, können wir bereits früh am Morgen Frauen in bunten Saris auf den leuchtend grünen Reisfeldern arbeiten sehen. Frisch geduscht strecken wir uns, um in unsere Kurta Surual (traditionelle Landestracht) zu schlüpfen und legen uns den Soal (Schal) um – und schon sind zumindest wir Frauen bereit für Chai und eine Nudelsuppe zum Frühstück. Heute ist sie schärfer, und wir müssen alle ein bisschen schniefen als uns die Auswirkung der Gewürze in die Nase steigt. Wir sitzen noch auf unseren Betten und schlürfen unsere Suppe, als Mingmar uns ruft und kurz darauf im Türrahmen steht. Der Bagger ist schon bei der Schule, wir sollen sofort loslaufen, sobald wir mit dem Frühstück fertig sind.
Drei Kilometer weit laufen wir wieder nach Naya Saku, heute allerdings ohne die Begleitung der blau uniformierten Kinder, denn es ist Samstag und kein Unterricht. Wir schwitzen, heute steht die Sonne hoch am Himmel und brennt auf die trockene Erde. Immer wenn sich ein Bus an uns vorbei drängt, laufen wir weit an die Seite und versuchen möglichst wenig von dem aufgewirbelten Staub und den Abgasen einzuatmen. Zum Glück ist wenig Verkehr.
Alexandra und Mingmar laufen weit voraus, aber wir nehmen eine Abkürzung und treffen noch vor den beiden an der Schule ein.
Neben dem Baggerfahrer warten auch schon Narayan und viele der Lehrer auf uns. Wir sprechen mit einem der Männer, der seit 14 Jahren an der Schule Englisch unterrichtet: „Ich kann die schönen Worte nicht mehr hören“, sagt er resigniert, als er über all die Organisationen spricht, die kamen und Worte verteilten, aber keine Taten folgen ließen. "Ich bin so glücklich, dass die Arbeit nun wirklich beginnt", meint er.
Wir versprechen, Taten folgen zu lassen, denn wir sind nicht hier, um nur Fotos von den Zuständen zu machen und damit nach Hause zu fahren.
Ernst sprechen wir aber auch an, dass wir immer wieder gegen die mögliche Korruption zu kämpfen haben. Oft mussten wir unsere Sachspenden hart verteidigen, denn immer wieder gab es Menschen, Organisationen oder sogar Regierungen, die uns unsere Spenden abnehmen wollten. Niemals lassen wir dies zu, denn dann verlieren wir jegliche Kontrolle darüber, wohin die Spenden unserer Freunde gehen. 100 % unserer Spenden, Sachspenden sowie die finanzielle Unterstuetzung, verteilen wir an die Menschen, die in großer Not leben und Hilfe benötigen. Umso wichtiger ist es, immer und immer wieder zu ueberprüfen, wohin jeder Euro und jede Jacke oder jedes Zelt gespendet wird. Deswegen gehen wir selbst in die Läden, kaufen, was immer benötigt wird und verteilen es schließlich selbst an den Orten, an denen die Spende wirklich gebraucht wird.
Ein großer gelber Bagger steht auf dem weiten staubigen Gelände. Es ist heiß heute und als der Bagger beginnt mit seiner großen Schaufel Ziegelsteine aus dem Weg zu räumen, wirbeln rote Staubwolken um uns herum. Kinder und Frauen aus der Nachbarschaft stehen am Rand des Schulgeländes und blicken neugierig auf die Szenerie. Als wir bemerken, dass viele der Steine kaputt gehen, fangen alle gemeinsam an die Steine mit den Händen auf die Schaufel zu laden. Obwohl das Gelände extrem steil und unwegsam ist, manövriert der Fahrer seinen Bagger geschickt zwischen den Schutthaufen hin und her. Die Ziegelsteine gehören einer Familie, die gerade neben an ein kleines Haus baut. Als die Frau sieht, wie viele der Steine kaputt gehen, beginnt sie beinahe zu weinen. Fenja bemerkt sofort ihre Verzweiflung und wir versprechen ihr die kaputten Steine natürlich zu ersetzen. Erleichtert aber zögerlich nimmt sie die 1200 Rupien an, die wir ihr bezahlen. Das sind etwa 12 Euro – ein winziger Betrag für westliche Verhältnisse, aber an ihrer Reaktion wird uns sehr deutlich, wie viel Geld das für ihre Familie ist. Es ist uns unglaublich wichtig, dass niemand unter den Bauarbeiten leiden muss. Immer wieder fragen wir Mingmar, ob die Situation nun für alle in Ordnung  ist. Er nickt und beruhigt uns. „Sie war sehr traurig, als viele der Steine kaputt gegangen sind. Aber nun hat sie genug Geld, um die Steine zu ersetzen – sie ist glücklich“, sagt er.
Zur Belohnung aller Kinder und Erwachsenen, die beim Steine-schleppen in der heißen Sonne geholfen haben, gehen wir gemeinsam einige Schritte bis zur Dorfmitte in einen kleinen Laden. Wir kaufen Sprite für alle – insgesamt 70 Flaschen verteilen wir an die fleißigen Helfer und alle, die sonst noch vorbei kommen. Wir sitzen in mitten von lachenden Kindern und alten Frauen, die froh sind, ihre schweren Körbe einmal abzustellen und ein kaltes, süßes Getränk zu genießen. Nachdem wir bezahlt haben, laufen wir schnell zurück zur Baustelle, denn der Bagger hat in der Zwischenzeit natürlich weiter gegraben. Anstelle des kleinen Trampelpfades, dem wir vorhin ein Stück gefolgt sind, klafft bereits ein großes Loch. Immer mehr staubige Erde gräbt die große Schaufel um, läd sie auf üppige Haufen, die morgen ein Traktor abholen wird. Wir setzen uns in den Schatten, arbeiten an den Fotos und dem Bericht für unsere Freunde zuhause. Irgendwann hüllt uns der Bagger in Staub, und wir laufen weiter weg, setzen uns in eines der provisorischen Klassenzimmer. Erst als wir uns auf die kleinen Holzbänke setzen, wird uns bewusst, wie dringend neue Klassenzimmer notwendig sind.
Der Boden ist entweder staubig und uneben und dort, wo das Regenwasser heute morgen hinein geflossen ist, sind immer noch große schlammige Pfützen. In der Monsunzeit steht den Schülern das Wasser oft bis zu den Knöcheln. Mingmar meint, dass der Unterricht trotzdem stattfindet, denn es gibt keine Ausweichmöglichkeiten. Die Holzbänke sind fest an die Tische geschraubt und schmal.
Die vielen Kinderhände, die auf den Bänken Tafelanschriften abgeschrieben haben, haben das Holz ganz glatt geschliffen. Die Tafel ist ein kleines Whiteboard, das schon längst nicht mehr wirklich weiß ist und kaum groß genug, um einen ganzen Satz zu schreiben.
Ein kleines Mädchen, das gerade noch bitterlich weinte, kommt mit schniefender Nase zu mir und zeigt mir eine Kugelschreibermine, die sie gefunden hat. Ich gebe ihr mein Notizbuch und sie malt ein bisschen neben mir. Jürgen importiert die Bilder, die er mit seinem Handy gemacht hat, auf Alexandras Laptop und sofort ringen sich alle Kinder um ihn und schauen neugierig auf den Bildschirm. Immer wieder rufen sie auf Nepalesisch „Das bin ich!“ oder „Schau, das ist meine ältere Schwester!“.
Heute ist der erste Tag, an dem wir um ein Uhr schon zu Mittag essen können – es fühlt sich fast ein bisschen merkwürdig an. „Also das Essen – fantastisch!“, sagt Alois, wie eigentlich jedes Mal nach dem Essen. Nach dem obligatorischen Chai geht es zurück zur Schule. Der Baggerfahrer hat in der Zwischenzeit eine riesige Fläche frei gebaggert. Neben ihm stapeln sich bereits die großen Steine und all die staubige Erde. Langsam wird der Platz, auf dem die neue "Sansari Mahendra Higher Secondary" enstehen soll, ebenerdig. Nach einem letzten Bild für unsere Freunde daheim brechen wir auf. Morgen werden wir wieder kommen, um die Arbeiten weiter zu beobachten und einige Dokumente, die wir für Kathmandu brauchen, vorzubereiten.
Wir laufen zurück zu unserer Unterkunft und ziehen uns um, denn wir wollen ein kurzes Bad im Fluss nehmen.
Unseren Weg hinunter ins Tal suchen wir uns zwischen den vielen Reisfeldern, oft müssen wir auf den schmalen Erdwällen gehen, um die empfindliche Saat nicht zu zertreten. Unten am Fluss trennen sich unsere Wege, denn die Frauen werden nicht gemeinsam mit den Männern baden. Wir Frauen ziehen unsere Hosen aus, behalten aber aus Respekt der nepalesischen Kultur gegenüber unsere langen Kurta Surual an und legen uns so in die seichte Strömung.Wir laufen zwischen den Reisfeldern hinunter ins Tal und legen uns in die seichte Strömung. Es tut unglaublich gut, all den Schweiß und den Staub von der Haut zu spülen. Wir waschen unsere Kleider im Fluss und setzen uns an den Rand, um in der Sonne zu trocknen. Alois und Jürgen sitzen mit Mingmar und dem alten Mann, der sie schon am ersten Morgen zum Chai eingeladen hat, im Fluss, kippen sich das Wasser in Eimern über den Kopf und bespritzen sich gegenseitig mit Wasser – wie kleine Kinder.
Erfrischt von diesem Bad, schreiben wir weiter an unseren Berichten, machen Abrechnungen und sortieren die Bilder. Es ist wichtig, dass unsere Freunde zuhause nachvollziehen können, was wir hier erleben und wohin unsere Kraft fließt.
Nach einem vermeintlichen letzten Chai – ohne Milch- essen wir zu Abend und wollen gerade zu dem alten Mann aufbrechen, den Alois gestern Abend getroffen hat, als Bishnu Maya Baneya, unsere Gastgeberin fragt, warum wir nur diesem einen Mann helfen wollen. Bestimmt, aber respektvoll sagt sie, dass eine neue Wasserleitung für das Dorf gebraucht wird. „Warum helft ihr nicht uns allen? Eine Wasserleitung würde uns allen helfen“, meint sie. Wir fragen sie, ob sie uns den Ort zeigen kann, an dem die Leitung entstehen soll. Sie führt uns sofort hin.
Wir laufen ein Stück die Straße entlang und biegen dann auf die Felder ab. Bald erreichen wir einen großen Betonklotz, einen Wasserspeicher. Als wir darauf stehen und durch die kleine Öffnung nach unten blicken, sind wir verwirrt. Wir können kein Wasser sehen. Bishnu erklärt, dass die Leitung bis hier her führen soll, ausgehend von einer Quelle weiter oben am Berg. „Führ' uns hin“, bittet Alexandra.
Wir laufen über vollständig ausgetrocknete Reisfelder, die Erde hat hier große Risse. Nach einigen Minuten Gehzeit werden die Felder feuchter und irgendwann müssen wir außen herum gehen um die Felder. Vorsichtig laufen wir auf den schlammigen Rändern und springen von Stein zu Stein über einen kleinen Bach. Bishnu bleibt stehen, hockt sich auf einen Stein und formt eine Schale mit ihren Händen, mit der sie das Wasser aus dem Bach schöpft und über ihr Gesicht fließen lässt. Hier soll die Leitung beginnen.
Inzwischen kommen immer mehr Dorfbewohner hinzu, und wir diskutieren über die genaue Vorstellung der Menschen. Sie wollen die Leitung unter der Erde verlegen und das Loch gemeinsam graben. Wir schlagen vor, morgen nach Gorkha zu fahren und Rohre zu kaufen. „Wir brauchen dicke Rohre, damit sie nicht brechen“, meint Alexandra. Bishnu sagt, sie wisse, wo wir diese bekommen können. Wir werden sie morgen mit in die Stadt nehmen.
Als wir zurück laufen, schätzen wir die ungefähre Entfernung ab. Wir rechnen mit ca. 600 m Rohren, die dann zu dem Wasserspeicher an der Straße führen sollen, von dem sich dann alle Dorfbewohner Wasser holen können. Die Wasserknappheit haben wir selbst schon bei Bishnu erlebt – während unseren Duschen gibt es immer wieder kein Wasser aus der Leitung mehr, oft gibt es nur einige Stunden jeden Tag fließendes Wasser. Viele Nachbarn kommen zu Bishnu und waschen an ihrem Becken, weil wir noch verhältnismäßig viel Wasser zur Verfügung haben.
15 Männer können bei dem Projekt helfen, sagen die Dorfbewohner. Wir fragen, wie lange sie brauchen werden. „Zwei Tage“, übersetzt Mingmar. Ungläubig starren wir ihn an, und fragen noch einmal nach. „Ja, zwei Tage – wir helfen alle mit“, sagt einer der Männer. Wir sind begeistert. Eine "Feier" wollen wir veranstalten, wenn wir die Leitung wirklich in zwei Tagen fertig stellen können.
Als wir über die Reisfelder zurück zur Straße gehen, geht gerade die Sonne unter und färbt den Himmel über den Bergen Nepals rot.
Wir besuchen noch den alten Mann, den wir gestern Abend kennengelernt haben. Über sein „Zelt“ staunen wir nicht schlecht. Der Mann lebt mit seiner Frau, einigen Wasserbüffeln und Hühnern in mehreren einfachen Bambushütten. Wir fragen weiter nach und erfahren, dass er fünf Kinder hat, die im Ausland sind und außerdem viele Felder. Mingmar kneift den Mann in den Arm und ertappt lacht der Mann uns an. Ein bisschen gelogen hat er, als er uns erzählte, dass er in einem Zelt wohnt. Seine Behausung ist simpel, “ärmlich” würde man in Deutschland sicher sagen. Er schläft auf einer Bambusmatte, die auf ein Bettgestell gelegt ist, und auf dem Lehmboden ist eine kleine Kochstelle, auf der seine Frau jeden Tag die kargen Mahlzeiten kocht. Beide tragen verschlissene Kleidung und gehen barfuss. Die Häuser vieler Farmer sind während dem Erdbeben vollständig zerstört worden und nun leben sie in selbst gebauten Hütten - da wir nicht jeder Familie hier ein neues Haus bauen können, erklären wir ihm, dass wir durch die Wasserleitung allen Dorfbewohnern helfen wollen.Er lädt uns auf einen Chai ein und wir reden mit ihm und den anderen Dorfbewohnern über die neue Leitung. Wir sagen, dass wir zunächst in die Stadt fahren müssen, um abzuklären, was eine Leitung kosten wird. Noch wollen wir nichts versprechen – aber alle sind guter Dinge, denn die Idee scheint realisierbar. Wir trinken unseren Tee wieder mit frischer Büffelmilch, sitzen auf Bambusmatten vor der Hütte, in der ein kleines Feuer brennt und hören neben unzähligen Zirpen und Grillen die Wasserbüffel hinter uns im Stall zufrieden ihr Gras fressen.
Alois und der alte Mann vom Fluss sitzen gemeinsam auf einer kleinen Bank, bis dieser aufsteht, Alois lange und herzlich umarmt und sich dann verabschiedet. Die Männer verabreden sich für morgen zum Schwimmen und der alte Mann verschwindet mit seinem Hund in der Dunkelheit.
Auch wir gehen langsam zu unserer Unterkunft zurück und alle nach einander in unsere Zimmer- die Männer zu dritt in eines und die drei Frauen in das andere Zimmer. Heute war ein langer, ereignisreicher Tag – über einer Nudelsuppe, die wir mit dem Gedanken gegessen haben, einem Mann, der im Zelt lebt zu helfen, ist bereits eine andere Idee langsam entstanden, ohne das wir es bemerkt hätten. Jetzt bauen wir eine Wasserleitung und helfen dem ganzen Dorf.
Während Fenja die letzten Stunden unseres Tages beschreibt, sitzt sie alleine im Dunkeln vor dem Haus – der Strom ist mal wieder ausgefallen. Irgendwann setzt sich ein kleines Mädchen neben sie und knipst immer wieder ihre eigene Taschenlampe an, wenn Fenja etwas in einem Notizbuch nachschauen möchte. Als Fenja dem kleinen Mädchen einen Kugelschreiber gibt, schreibt sie mit ihrem Bruder viele Zeilen in Fenjas Buch.
Als die Kinder schon lange nach Hause gelaufen sind und Fenja aufsteht, um ins Bett zu gehen, sieht sie, dass das Mädchen etwas auf Englisch geschrieben hat:

Name: Garima Thapa
My school name is "Bright Future Academy". - Der Name meiner Schule ist "Schule für eine erfolgreiche Zukunft"
Room No: 13- Zimmernummer: 13
Class: Two- Klasse zwei
Teacher: Supriya Thapa- Lehrer: Supriya Thapa
Day: Saturday- Tag: Samstag

 

Fr 20.05.2016 - 20:20, geschrieben von Frank, veröffentlicht von Frank

Wieder telefonischer Kontakt - Berichte und Fotos folgen bald

Heute Abend war wieder ein telefonischer Austausch mit dem Team in Nepal möglich. Nach einigen Tagen "Funkstille", in den besuchten Bergdörfern gab es keinen Strom zum Laden der Telefone und natürlich auch keinen Internetzugang, sind aktuell alle fünf wieder zurück in Kathmandu.
Während Jürgen, Susanne und Alois morgen bereits zurück nach Deutschland fliegen, werden Fenja und Alexandra noch einige Tage in Nepal bleiben und die Arbeit fortsetzen. Berichte und Fotos werden bald folgen, nachdem nun wieder Strom für Handys und Computer verfügbar ist smiley
Es gibt viele eindrucksvolle Erlebnisse zu berichten...

Schöne Grüße an Euch alle
Frank

 

Di 17.05.2016 - 22:15, geschrieben von Fenja, veröffentlicht von Frank

Kathmandu, Fahrt und Ankunft in Jareber (Nähe von Gorkha)

Tag 2 – 12. Mai 2016

Unser Tag beginnt mit einer kalten Dusche aus dem Eimer. Mit einem kleinen Becher schöpfen wir das Wasser und gießen es uns über den Kopf. Die Kälte und der Chai zum Frühstück wecken uns vollständig auf – wir sind bereit für Tag 2. Susanne erzählt von dem Moment als sie heute morgen aufgewacht ist. „Die Vögel haben vor meinem Fenster gezwitschert und dann habe ich auch noch so eine leise, ruhige Musik gehört. Ich habe mich wie im Himmel gefühlt“, schwärmt sie.
Frühstück gibt es auf dem Bett von Jürgen und Alois und Mingmar unterhält uns mit seinen vielen interessanten Geschichten über das Leben in seinem Land. Er erzählt von der Zusammenarbeit Nepals mit Indien und beschreibt den Moment als vergangenes Jahr die Grenzen geschlossen waren. „All unsere Kleidung und Lebensmittel kommen aus Indien – deswegen ist alles auch ein bisschen teurer als in Indien“, meint er. Als nun nichts mehr über die Grenzen gelangen konnte, aufgrund politischer Differenzen, stiegen die Preise extrem. Ein Schwarzmarkt entstand. „Wir haben an der Tankstelle drei Tage lang auf Benzin gewartet. Wir haben dort gegessen, geschlafen, und gewartet. Für 3 l Benzin, mehr haben wir nicht bekommen. Ungefähr 500 Motorräder haben dort gewartet. Der Besitzer hat immer gesagt, dass er auch nicht weiß, wann das Benzin kommt“, beschreibt er. 800 Rupien musste man damals auf dem Schwarzmarkt für einen Liter Benzin bezahlen – umgerechnet ca. 7 Euro pro Liter.
Während wir auf den Betten sitzen, Chai trinken und unsere Pfannkuchen essen, beginnt es draußen zu regnen. Mingmar erklärt uns, dass man hier in Nepal glaubt, dass Regen vor Beginn einer Arbeit, wie dem Schulbau, ein gutes Zeichen ist. Auch der Transport einer Leiche, den man zufällig sieht, soll ein gutes Zeichen sein. Wir sind froh, dass wir nur den Regen vor unserem Fenster sehen können.
Wir beschließen irgendwann trotz des Regens loszulaufen, um unsere neuen Kleider in der Stadt abzuholen. So suchen wir Regenschirme und Jacken zusammen, während Mingmar sich einen knallroten Poncho überstülpt, der ihm tatsächlich bis zu den Knöcheln reicht. Die Straßen sind schlammig und rutschig und voller bunter Regenschirme, denen wir immer wieder ausweichen müssen. Heute kommen uns die Gassen noch enger vor, weil Fußgänger und Motorradfahrer gleichzeitig versuchen den vielen Löchern, die sich heute zu riesigen Pfützen verwandelt haben, auszuweichen.
Viele der kleinen Läden sind heute wegen des Regens geschlossen, doch „unsere“ Schneiderin wartet schon lächelnd auf uns. Susanne und Fenja freuen sich über ihre neue Kleidung und können es kaum abwarten, die neuen Kleider anzuprobieren. Wir überreichen der Schneiderin ein kleines Trinkgeld, weil sie so schnell und zuverlässig gearbeitet hat und versprechen ihr nächstes Mal wieder zu kommen.
Unendlich lange scheint uns nun der Weg zurück, den wir uns zwischen den vielen Schlammlöchern suchen müssen. In unserer Unterkunft müssen wir schnell unsere Sachen zusammenpacken, denn Mingmar hat bereits das Taxi bestellt. Begeistert drehen Susanne und Fenja sich in ihren neuen Kleidern vor den Anderen. Auch die Nepalesen, die wir in unserer Unterkunft treffen, sind begeistert von unseren Kleidern. Nachdem all das Gepäck verladen ist, und jeder für sein Zimmer bezahlt hat, steigen wir in unseren Jeep, der uns nach Gorkha bringen wird. Zu viert sitzen wir hinten auf der kleinen Rückbank, als Mingmar uns unseren Fahrer und neuen Freund, Prabhu vorstellt. Wir fahren los und Prabhu kämpft sich souverän durch das Verkehrschaos Kathmandus. Wir werden heute ungefähr sieben Stunden fahren – und ca. 160 Kilometer. Auf unsere ungläubige Nachfrage hin, erklärt Mingmar, dass wir in die Berge mit vielen Serpentinen fahren und die Straßen sehr schlecht sind. Kurz nachdem wir Kathmandu verlassen haben, sehen wir was er meint. Immer wieder müssen wir enge Kurven zwischen riesigen Schlaglöchern fahren und Prabhu hupt jedes Mal bevor wir um eine der schmalen Kurven fahren.
Irgendwann halten wir unvermittelt an, Prabhu steigt aus, und klappt die Motorhaube hoch. Wir haben eine Panne. Letztendlich stellt sich heraus, das die Feder am hinteren Reifen kaputt ist. Mingmar bespricht mit Prabhu, dass sie den Wagen hier reparieren lassen, weil es für viele Stunden die letzte Möglichkeit sein wird. Wir nutzen die kleine Pause für einen Chai, aus dem schließlich zwei und dann drei werden, denn Prabhu scheint verschollen. Wir laufen etwas durch die kleine Straße, in der wir abgesetzt wurden und lernen eine alte Frau kennen, die uns freundlich anlächelt. Auf ihrem kleinen Wagen sitzend verkauft sie Früchte. Dank Mingmar können wir uns mit ihr ein wenig unterhalten. Viele Falten zieren ihr Gesicht und auf unsere Frage hin, gibt sie an 61 Jahre alt zu sein. Sie meint, dass sie nicht sehr hübsch ist, weil sie so hart gearbeitet hat ihr ganzes Leben lang. Wir widersprechen ihr – denn wenn sie lacht, scheint die Sonne ein bisschen heller zu strahlen. Ihr Alter macht sie in unseren Auge nur noch schöner. „Jede Falte erzählt eine Geschichte“, meint Alexandra. Mit Alois möchte sie kein Bild machen, sie hat Angst, dass jemand denken könnte, sie haben eine Liebschaft. Sie lässt sich aber davon überzeugen, mit Susanne und Fenja eines zu machen, herzlich lacht sie uns an, als wir uns neben sie setzen. Sie schenkt uns einige Bananen, für die wir bezahlen möchten. Sie nimmt nur exakt soviel an, wie ihre Ware wert ist und weigert sich, auch nur einen Rupie mehr zu nehmen. Später schneidet sie uns mit einer kleinen Sichel eine Mango auf und reicht sie uns auf kleinen Spießen. Lange sitzen wir bei ihr und erfreuen uns an ihrem ehrlichen Lachen.
Alois läuft alleine ein bisschen die Straße entlang und findet eine kleine Schmiede. Als wir vorsichtig näher treten, stehen viele der Männer, die um das Feuer sitzen, sofort auf, deuten uns an, uns hinzusetzen und zeigen stolz ihre Arbeit. Einige Kohlen liegen vor einem einfachen Ofen, durch den eine Frau langsam Luft bläst bis die Kohlen glühen. Ein Mann hält ein Eisen in die Kohlen und schmiedet es sorgfältig mit einem großen Hammer, bevor er es in einen Holzstiel klopft. Später kommen wir mit Mingmar wieder und kaufen zwei der Sicheln – für insgesamt ungefähr 16 Euro.
Wir verabschieden uns, als Prabhu schließlich das reparierte Auto vorfährt. Endlich geht es weiter.
Einige Minuten später meint Alexandra, dass sie aufs Klo müsse. Alle lachen, aber nach einander melden sich Susanne, Alois und Fenja dann auch. Wir halten an und sind begeistert als wir aussteigen. Wir haben ein kleines Restaurant gefunden! Nach dem gemeinschaftlichen Klogang, beschließen wir hier zu bleiben und ein verspätetes Mittagessen einzunehmen. Wieder sind wir absolut begeistert von dem Essen, dass uns freundlich serviert wird. Von dem kleinen Restaurant aus, hat man einen herrlichen Blick über das Tal, in dem sich ein Fluss seinen Weg bahnt. Trisuli heißt der Fluss. Wir sehen einige Frauen am Ufer arbeiten, und auf einer kleinen Steininsel im Fluss steht einer der bunt bemalten Laster und viele Männer arbeiten außen herum. Wir fragen Mingmar, was sie tun. Sie sammlen Steine aus dem Fluss, die zum Wiederaufbau verwendet werden, von Gebäuden, Straßen oder Absperrungen an den steilen Abgründen neben den Straßen in den Bergen. „Es ist eine sehr harte Arbeit“, sagt Mingmar. Sie verdienen dabei 600 Rupien pro Tag, also ungefähr 5 Euro. 400 Rupien davon müssen sie jeden Tag für Nahrungsmittel für ihre Familie und sich ausgeben. „Sie essen nur Reis und Linsen, weil das ist billig und macht satt. Nie gibt es etwas anderes“, erklärt er uns. 200 Rupien bleiben übrig pro Tag, also nicht einmal ein Euro – wenn die Familie tatsächlich nur Essen kauft.
Nachdem alle satt sind, meint Mingmar, dass wir nun schnell weiter müssen, weil die Familie aus dem Dorf bereits seit 10 Uhr früh auf uns warten. Wir wollten sie heimschicken, aber die Menschen lassen sich nicht davon überzeugen, uns morgen zu begrüßen. Noch können wir uns nicht vorstellen, wie viel ihnen der Empfang bedeutet. Zumindest viele der Kindern schicken die Erwachsenen nun heim, denn wir werden erst ankommen, wenn es schon dunkel ist, und einige Familie wohnen um die neun Kilometer entfernt.
Prabhu schnallt sich plötzlich wieder an, was uns andeutet, dass wir bald auf Polizei treffen werden. Nach der nächsten Kurven sehen wir erst einige Männer in Uniform, dann immer mehr, die in großen Polizeiwagen sitzen. Erstaunt sehen wir uns um, aber erst als wir über eine Brücke fahren, erkennen wir den Grund für das hohe Polizeiaufgebot. Etwa in der Mitte der Brücke klafft ein riesiges Loch im Brückengeländer. Unschwer können wir erkennen, dass extreme Kräfte auf die dicken Metallrohre gewirkt haben müssen, bevor sie zerborsten sind. Kräfte, die nur von einem schnell fahrenden großen Wagen stammen können, der mit voller Geschwindigkeit in das Geländer gerast und abgestürzt ist. Entsetzt blicken wir in das Flusstal, neben der Straße geht es gut 100 Meter in die Tiefe.
„So viele Polizisten sieht man nur, wenn viele Menschen gestorben sind“, meint Mingmar ernst, der sich immer wieder besorgt nach der Unfallstelle umdreht. Wir fahren weiter, ohne anzuhalten – hier können wir nicht helfen.
Langsam werden wir müde, die lange Fahrt erschöpft uns alle. Wir unterhalten uns kaum noch, versuchen bequemere Sitzpositionen zu finden, um ein wenig zu schlafen. Mingmar bespricht etwas mit Prabhu, unserem Fahrer, auf nepalesisch und wir halten in einem kleinen Dorf. Mingmar meint, dass wir hier Narayana, unserem Freund vom letztem Jahr, treffen, als bereits ein hochgewachsener Nepalese auf das Auto zukommt und uns alle freudig begrüßt.
Zwei große Kisten mit Äpfeln kaufen wir noch, denn wir wollen all den Menschen, die solange auf uns gewartet haben, unbedingt etwas mitbringen.
Wir folgen Narayana, der uns auf dem Motorrad voraus fährt, aus dem Dorf heraus. Bald verlassen wir die geteerte Straße und unser Wagen holpert über den steinigen Untergrund. Staub wirbelt auf und wir bleiben hinter dem Motorrad zurück, denn Prahbu muss sehr langsam und vorsichtig um die  vielen großen Steine auf der Straße fahren. Wir halten neben Narayana, als er sein Motorrad am Straßenrand zum stehen bringt. Mingmar übersetzt, dass Jürgen nun mit der Kamera zu Narayana auf das Motorrad steigen soll, da wir bald die Wartenden erreichen werden.
Wir fahren weiter um eine Kurve und halten. Auf einer kleinen Anhöhe stehen unzählige Nepalesen und blicken uns entgegen. Im Licht der Scheinwerfer unseres Jeeps steigen wir aus, und gehen ein wenig unsicher einige Schritte auf die große Menge Menschen zu, die ihrerseits langsam auf uns zu geht. Plötzlich erkennen sie Alexandra und Jürgen und stürmen auf sie zu, hängen ihnen Blumenketten um den Hals, bestäuben ihre Stirn mit roten Pulver und umarmen sie lange. Einige der Frauen beginnen zu weinen. Wir sind umringt von tausenden glücklichen Gesichtern - Menschen, die uns empfangen, als hätten wir alle ihr Leben gerettet. Jeder von uns bekommt riesige Ketten aus Blumen um den Hals gehängt und immer wieder kommen neue Menschen auf uns zu, drücken ihren Daumen in das rote Pulver und vergrößern den Kreis auf unserer Stirn. Die Frauen umarmen uns, weinen und lassen uns nicht mehr los. Die Männer blicken uns in die Augen, falten andächtig ihre Hände und sagen „Namaste“ - „ich achte das Licht in dir“. Zwischen den Beinen und unter den Armen der Erwachsenen zwängen sich Kindern hindurch, drängen sich zu uns vor und falten schüchtern ihre Hände, sobald wir sie anblicken. „Namaste“ sagen wir, und die Kinder antworten oft einige Brocken Englisch. „What´s your name?“, werden wir gefragt und hören unzählige klangvolle und uns doch fremde Namen. Hände ergreifen uns, ziehen uns zusammen, in die Mitte der Menschenmenge.
Alexandra wiederholt immer wieder, dass wir nun nach Hause gekommen sind und Mingmar muss laut reden, damit jeder der vielen Menschen hören kann, was wir sagen. Sie dankt ihnen, dass sie den ganzen Tag heute auf unsere Ankunft gewartet haben – und das sie davor bereits ein gesamtes Jahr auf unsere Rückkehr gewartet haben. „Auch wir mussten lange warten, bis wir hierher nach Hause zurückkehren konnten“, sagt sie. Sie spricht von der Liebe, die wie eine große Sonne über uns allen scheint. „Die Dächer haben ihr Leben gerettet“, übersetzt Mingmar und beschreibt, wie wichtig die Dächer, die wir hier letztes Jahr nach dem Erdbeben verteilt haben, für die Menschen gewesen sind. „Wir haben lange darauf gewartet, dass die Regierung uns etwas schickt, aber nie ist Hilfe angkommen. Aber dann seid ihr gekommen und habt geholfen. Ihr habt unser Leben gerettet“, sagt ein alter Mann zu uns.
Jemand verteilt Bananen, und uns wird angedeutet, wir sollen diese nun essen. Wir versuchen mit den umstehenden Menschen zu teilen, aber es ist ihnen wichtig, dass wir ihre Geschenke annehmen. Ein Mann schneidet mit einer Sichel eine große Gurke auf, die uns auf einem Tablet serviert wird. Dankbar nehmen wir einige Stücke und essen, völlig überwältigt von diesem Empfang.
Als Alexandra die Nepalesen bittet, ein Lied zu singen, beginnen einige der Frauen ein Lied, in das bald alle einstimmen. Alle klatschen in die Hände und singen mit wundervollen Stimmen in einer Sprache, die wir nicht verstehen können über Themen, die uns nur der fröhliche Klang der Stimmen und das muntere Klatschen erraten lässt. Wir bilden einen Kreis und eine Frau und ein Mann beginnen zu tanzen. Anmutig bewegen sie ihre Hände, drehen ihre Arme dem Himmel entgegen und umkreisen sich, während die Füße einen gleichmäßigen Rhythmus auf den sandigen Boden klopfen.  Die Gesichter der Menschen strahlen vor Glück.
Die Frauen ergreifen unsere Hände, ziehen uns in den Kreis, bedeuten uns mit ihnen zu tanzen. Und so stehen wir kurz verunsichert in einem großen Kreis aus freundlichen Gesichtern mitten auf einer staubigen und steinigen Straße in der Nacht Nepals und beginnen langsam zu tanzen. Der Rhythmus ist einfach, und begeistert klatschen die Menschen in die Hände während wir uns drehen und unsere Arme zum Himmel strecken. Bald bringen die Männer aus der Dunkelheit selbstgemachte Trommeln herbei und beginnen Musik zu dem Gesang der Frauen zu machen. Nach jedem Lied blicken sich die Nepalesen kurz gegenseitig in die Augen, wir spüren wie sie sich gegenseitig fragen: „Was singen wir nun?“, bevor dann eine der Frauen ein neues Lied anstimmt und alle begeistert einfallen. Sobald wir uns wieder an den Rand stellen, ergreift eine der Frauen unsere Hand, zieht uns liebevoll zurück auf die provisorische Tanzfläche und dreht sich mit uns zur Musik. Die Kinder finden uns an jedem Platz in der großen Menge, blicken nach oben in unsere Gesichter und sagen leise „Please dance.“ Wir können diesen Wunsch nicht ausschlagen und tanzen, bis die Nepalesinnen schließlich aufhören zu singen. Begeistert blicken uns unzählige Augenpaare an.
Wir beginnen die mitgebrachten Äpfel zu verteilen, stolpern in der Dunkelheit, die nur durch kleine Lampen erhellt wird, zu den Kisten und auf die Menschen zu. Dankbar nehmen sie unser kleines Geschenk entgegen und bald kaut jedes Kind, das wir in der Dunkelheit ausmachen können, zufrieden auf einem Apfel. Immer wieder ergreift eines von ihnen unsere Hand und bleibt still ein wenig an unserer Seite stehen.
Wir alle werden wie alte Freunde behandelt und Freude und Dankbarkeit leuchten uns aus den Gesichtern der vielen Nepalesen entgegen. Ungläubig fassen wir immer wieder an die riesigen Blumenketten, als könnten wir uns nicht vorstellen, sie tatsächlich um den Hals zu tragen. Der Moment wirkt wie ein Traum aus bunten Farben, leuchtenden Gesichtern, klatschenden Händen und wunderschönem Gesang. Wir können in der Dunkelheit oft keine Gesichter erkennen und verstehen nicht, was uns die vielen Menschen sagen – aber wir können es spüren. Wir spüren die Dankbarkeit und die Liebe, die uns von allen Seiten entgegen gebracht wird. Wir können gar nicht genug Hände drücken, Gesichter anlächeln und Menschen umarmen, um auszudrücken, wie sehr uns ihr Empfang bewegt.  
Viele Bilder machen wir gemeinsam und der Blitz unserer Fotoapparate erhellt unsere Gesichter für einige Sekunden. Schüchtern blicken die Nepalesen in die Kamera und Mingmar fordert sie auf, zu lächeln, woraufhin alle laut auflachen.
In mitten der großen Ansammlung besprechen wir das weitere Vorgehen während der nächsten Tage, bevor wir uns lange von den vielen Menschen verabschieden, die wir hoffentlich in den nächsten Tagen wieder treffen werden. Einige der Älteren müssen morgen auf dem Feld arbeiten, aber die Kinder versprechen zu kommen.
Irgendwann können wir uns losreißen von den Menschen und der überwältigenden Stimmung und laufen langsam durch die Dunkelheit zu unserer Unterkunft für diese Nacht. Der Wagen ist schon lange voraus gefahren und wir wissen nicht, wohin Narayana uns nun führt. Wir unterhalten uns kaum, leise gehen wir neben einander durch die Nacht, ganz gefangen in den Momenten, die wir gerade erleben durften.
Bald erreichen wir einige kleine Gebäude, vor denen wir freundlich von den Bewohnern begrüßt werden. Sofort bitten sie uns herein und zeigen uns unsere Zimmer – die normalerweise von ihnen bewohnt werden. Wie so oft fällt der Strom aus und wir suchen uns unseren Weg mit Hilfe der kleinen Lichtkegel unserer Taschenlampen durch das unbekannte Gelände. Die Frauen bekommen jeweils eine Decke und ein Bett, während Alois und Jürgen sich ein Bett teilen müssen. Zufrieden sinken wir darauf und merken etwas erschrocken, dass unsere Matratze nur aus einer dicken Decke und einem Holzbrett besteht. Wir waschen uns in einer kleinen Hütte vor dem Haus mit Vasen voll kaltem Wasser, während wir uns gegenseitig mit den Taschenlampen leuchten.
Unsere Gastgeber beginnen schon für uns zu kochen, doch wir sagen Mingmar, wie müde wir sind und das wir nichts mehr zu Essen brauchen heute Nacht.
Erschöpft durch die lange Fahrt und diese unglaublich berührende Begrüßung schlafen wir schnell ein, während der Regen auf unser Dach trommelt und der Himmel immer wieder von entferntem Wetterleuchten erhellt wird. Ein weiteres gutes Zeichen für die geplante Arbeit in den nächsten Tagen.

 

Sa 14.05.2016 - 07:40, geschrieben von Frank, veröffentlicht von Frank

Weiterreise in die Region Gorkha

Heute morgen hat Frank kurz mit Alexandra telefoniert. Nach der Ankunft in Kathmandu ist das Team am nächsten Tag früh mit dem Auto in die Region Gorkha weitergefahren. Bedingt durch eine Autopanne hat sich die Fahrt bis in die Abendstunden verlängert. Der Empfang vor Ort war unglaublich herzlich. Die Menschen hatten seit den Morgenstunden in der Sonne auf die Ankunft gewartet und dann gesungen und getanzt als sie ankamen. Das Team übernachtet in privaten Zimmern, welche die Bewohner extra für sie geräumt haben, unter einfachsten Bedingungen. Die Stimmung ist sehr gut, alle sind gesund und freuen sich das bisher alles problemlos verläuft. Heute morgen hat bereits der Bagger, mit der Vorbereitung des Baugeländes für die Schule, die Arbeit aufgenommen. Das geplante Gebäude mit 14 Klassenzimmern für 450 Schüler ausgelegt...
Der Kontakt kann im Moment nur über Handy und Whatsapp gehalten werden. Sobald es wieder eine stabile Internetverbindung gibt, folgen die nächsten Berichte.

Ganz herzliche Grüße von Jürgen, Fenja, Susanne, Alois und Alexandra in die Heimat an Euch alle!
Frank

 

Mi 11.05.2016 - 22:30, geschrieben von Fenja, veröffentlicht von Frank

Ankunft in Kathmandu und Bericht mit Fotos

 Tag 1 – 11. Mai – Kathmandu

Es ist schon hell draußen, als  Alexandra, Susanne, Alois und Jürgen um sechs Uhr nach 24 Stunden Reise endlich unser Hotel in Kathmandu erreichen. Während die Zimmerverteilung besprochen wird, treffen sie auf Fenja, die bereits eine Nacht früher angereist ist. Nur kurz haben wir Zeit, um uns auszuruhen und frisch zu machen, denn um neun erwartet uns neben Pfannkuchen und Chai zum Frühstück schon Mingmar, unser nepalesischer Freund, der uns auch dieses Jahr wieder bei unserer Arbeit unterstützen wird. Nachdem wir besprochen haben, was wir heute alles erledigen wollen, brechen wir auf und folgen Mingmar durch die vielen kleinen Gassen Kathmandus.
Das laute Hupen der vielen Motorräder und Autos erfüllt die staubigen Gassen. „Man weiß gar nicht, wohin man schauen soll“, meint Jürgen und beschreibt damit, wie wir uns alle fühlen. Immer wieder müssen wir auf einander warten, weil der chaotische Verkehr uns irritiert oder jemand ein buntes Tuch, einen Armreif oder eine Klangschale betrachtet und zurück bleibt hinter den Anderen. Frauen, in bunt gemusterten oder glitzernd bestickten Kleidern laufen an uns vorbei und blicken uns neugierig an, während wir versuchen uns einen Weg zwischen den angebotenen Waren, dem Schutt auf der Straße und den Motorrollern zu bahnen. Große Löcher klaffen in den Häuserreihen und die riesigen Schutthaufen erinnern an das verheerende Erdbeben im vergangenen Jahr. „Viele Gebäude sind komplett zerstört worden“, erzählt Mingmar. Ein paar Jungen in Schuluniform sitzen auf dem Boden und spielen, hinter ihnen steht ein Tor auf dem „Highschool“ steht – es lehnt nutzlos an einem eingefallenen Gebäude.
Zuerst wollen wir Stoffe kaufen, um traditionelle Kleidung für Susanne und Fenja schneidern zu lassen. Wir legen Wert darauf, den Menschen hier zu zeigen, dass wir ihre Tradition und Kultur anerkennen und respektieren. In einem winzigen Laden setzen wir uns zu der kleinen Verkäuferin und betrachten viele verschiedene Stoffe – neben den unterschiedlichsten Materialien gibt es jede Farbe, die wir uns nur vorstellen können und unzählige bunte Muster und Stickereien. Die Nepalesinnen tragen gerne farbenfrohe Kleidung mit aufwändigen Verzierungen.
Irgendwann treffen wir schließlich eine Wahl und nachdem die Stoffe zurecht geschnitten wurden, gehen wir mit der Verkäuferin zu einer Schneiderin, die in einem kleinen Raum mit vier Nähmaschinen sitzt und sich freut, als wir kommen. Sorgfältig nimmt sie Maß und bespricht die Schnitte der Kleidung mit uns. Wir sind froh, Alexandra dabei zu haben, die uns aufgrund ihrer Erfahrungen sagen kann, was passend und angenehm zu tragen ist. Mingmar erzählt uns, dass die Schneiderin auch im Winter in diesem kahlen Raum arbeitet, oft 12 Stunden am Tag, ohne Heizung. Im Winter ist es kalt hier in Kathmandu, häufig um die null Grad. Wärmen kann sich die Schneiderin nur durch warmes Essen oder Tee, denn Handschuhe kann sie bei ihrer Arbeit nicht tragen. Ein Heizkörper wäre viel zu teuer, meint Mingmar.
Wir verlassen die Schneiderin wieder, nachdem wir mit ihr besprochen habe, die  Kleidung am nächsten Morgen abzuholen. Wir wollen so früh wie möglich weiter nach Gorka fahren, um vor Ort den Bau einer Schule zu unterstützen.
Danach besorgen wir noch SIM Karten, sodass wir alle mit unseren Familien und Freunden in Kontakt bleiben können und laufen dann durch die vollen Gassen zurück zu unserer Unterkunft. Auf dem Weg stärken wir uns mit einem frischen Saft. Wir wechseln unser Geld in nepalesische Rupien und trennen uns dann von Mingmar für einige Stunden, die wir alle dringend als Ruhepause benötigen.
Unser erstes nepalesisches Essen nehmen wir auf den Betten von Alois und Jürgen sitzend in Empfang – und sind begeistert. Das Essen ist sehr lecker und scharf, aber der kleine Joghurt zum Nachtisch lindert die Schärfe in unseren Mündern wieder. Gestärkt gehen wir los, um die letzten Besorgungen für unseren Aufenthalt in Gorka zu machen. Wir kaufen Socken, einen Schlafsack und Jacken, denn Mingmar erklärt uns, dass es nachts in den Bergen noch kalt werden kann.
Zurück im Hotel sitzen wir gemeinsam auf der Terrasse und unterhalten uns mit Mingmar über die kommenden Tage und das Leben in Nepal.
Lachend erzählt er, dass er der Schneiderin gesagt hat, dass wir um acht Uhr kommen – obwohl wir die Kleidung erst um neun Uhr abholen wollen. „Wenn ich acht Uhr ausmache, ist es um neun fertig“, meint er und erklärt uns damit das Prinzip der „nepalesischen Zeit“.
Später erzählt er von der Situation nach dem Erdbeben letztes Jahr, der Angst, die alle noch lange nicht hat schlafen lassen und der Trauer. Aber er erzählt auch, wie sich alle gegenseitig geholfen haben. „Ich habe immer gesagt, dass sie alle essen sollen. Wisst ihr, alle hatten solche Angst, weil sie nicht wussten, wo ihre Frau, ihr Mann oder ihre Kinder sind, dass sie ganz vergessen haben zu essen. Immer habe ich gesagt, ‚Sie kommen bald‘“, beschreibt Mingmar. Er erzählt von einer Lawine, die durch das Erdbeben ausgelöst wurde, und die ein ganzes Dorf unter sich begraben hat. Viele seiner Kollegen und Freunde sind dabei ums Leben gekommen. „Die Frauen sind immer noch sehr traurig. Die Kinder fragen immer, wann ihre Väter nach Hause kommen - ‚bald‘ sagen wir dann, weil wir nicht sagen wollen, dass sie gestorben sind. Wir hoffen die Kinder fragen irgendwann nicht mehr und vergessen langsam“, sagt Mingmar. Wir sind bestürzt.
Aber Mingmar beschreibt auch die fröhlichen Seiten seines Lebens hier in Nepal, erwähnt seine Kinder, die mit seinem 100jährigen Vater Fußball spielen und sich immer sofort auf ihn stürzen, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt. Wir müssen lachen als Mingmar über seine sechs Kinder spricht und dazu „jedes Böhnchen gibt ein Tönchen“ auf deutsch sagt.
Als es langsam dämmert verabschieden wir uns für heute von Mingmar, und verabreden uns mit ihm für acht Uhr am nächsten Morgen zum Frühstück - „deutsche Zeit“.

 

Di 10.05.2016 - 21:23, verfasst von Frank

Abreise nach Nepal

Heute ist das Team am frühen Morgen von Bamberg in Richtung Nepal abgereist. Mit dabei sind Jürgen, Susanne, Alois und Alexandra. In Kathmandu werden die vier bereits von Fenja erwartet, welche das Team für die zwölftägige Reise komplettiert.
Von Kathmandu geht es wieder in die Bergdörfer, u.a. in die Nähe von Gorkha, wo der Bau einer Schule auf dem Plan steht.
Neben einigen Sachspenden ist übrigens ein Gruß vom OB der Stadt Bamberg mit im Gepäck. Danke dafür an Maria, welche diesen im Rathaus entgegengenommen hat.

Hier ein Foto vor der Abfahrt, vielen Dank an Bruno, der die Mannschaft mit dem Bus von Tanja und Michael zum Flughafen gefahren hat.

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In einem kleinen bunten Geschäft suchen Susanne und Fenja Stoffe für die typisch nepalesische Kleidung aus.
Alois schaut sich in der Zwischenzeit die Gegend an...
Alois entdeckt eine kleine Schmiede. Begeistert zeigen uns die einfachen Menschen ihr Handwerk. Sie freuen sich sehr, als ihnen Alois zwei Sicheln abkauft.
Nach einer 10-stündigen Fahrt über holprige Straßen steigen wir erschöpft aus dem Auto und sind überwältigt vom Anblick der wartenden Menschen.
Auch die Kinder begrüßen uns freudig.
Jeder bekommt einen Apfel.
Bald sind wir umringt von Kindern, die genüsslich an ihren Äpfeln kauen.
Obwohl die Kinder Alois, Fenja und Susanne noch nie gesehen haben, weichen sie uns nicht mehr von der Seite.
Der Fluss Darodi, der sich unterhalb unserer Unterkunft durch das Tal windet.
Viele Kinder in blauen Schuluniformen begleiten uns die drei-Kilometer lange Straße entlang, die nach Naya Shanghu führt. Noch wissen wir nicht, dass sie teilweise über eine Stunde lang aus den Bergdörfern herab zur Schule laufen.
Jeden Morgen stellen sich alle in Reih und Glied auf den Platz und befolgen die Anweisungen eines älteren Schülers. Sie strecken die Arme, stampfen mit den Füßen und singen.
Dicht gedrängt sitzen die Schüler auf den kleinen Metallbänken und versuchen sich, während wir sie fotografieren, auf die Worte der Lehrerin zu konzentrieren.
Zusammen mit allen Kindern rufen wir im Chor: "Ich möchte eine Schule" auf nepalesisch.
Auf einem Bild im aktuellen Newsletter von der Austeilung von Lebensmitteln nach dem Erdbeben 2015 entdeckt unser Freund Narayan seinen Vater.
Im Bauamt überreichen wir als Gruß des Oberbürgermeisters der Stadt Bamberg, Andreas Starke, einen Wimpel.
Dieser Mann verdient etwa einen Euro am Tag, mit dem er seine kleine Familie ernähren muss. Glücklich trägt er den 25-Kilo Reissack davon, den wir ihm gekauft haben.
Die einzige Zapfsäule dieser Tankstelle ist defekt. Ungefähr dreißig Motorräder und ihre Fahrer warten auf Benzin.
Zwischen Reisfeldern laufen wir gegen Abend den Berg hinauf zu einer Quelle.
22 Familien haben nicht genügend Wasser im Dorf und müssen weit laufen, um an das kostbare Nass zu kommen.
Schon am nächsten Morgen beginnen die Bauern mit großem Eifer die Leitung einzugraben.
Wir sind fasziniert von ihrem Fleiß, doch ein Mann sagt: "Diese Arbeit ist leicht für uns! Dass wir kein Wasser hatten, das war unser Problem!"
Wir sind fröhlich uns ausgelassen. Mit so einem schnellen Erfolg hatten wir nicht gerechnet.
DANKE an ALLE zu Hause!!!

Kommentare(7)

Hallo Ihr Lieben,
vielen Dank für euren Bericht. Das ging ja fix.
Passt gut auf euch auf! ... Und tut (wie immer) Gutes. Freue mich sehr, davon zu lesen und davon zu wissen.
Danke und alles Gute!
M.

Viel Glück und Kraft für eure sofortige Hilfe für viele Bedürftige. Gottes Segen auf all Euren Wegen! Liebe Grüße, Andrea. Wir werden am Freitag und Samstag in Nürnberg am Trempelmarkt von Eurer aktuellen Reise in Nepal den Menschen berichten.

Hallo Ihr Lieben,
ich hab über Susanne von Euch erfahren. Ich finde es ganz toll, was Ihr hier auf die Beine stellt! Sehr interessant , die Berichte zu lesen. Ich bin gespannt auf die nächsten Tage,werde immer mal reinspitzen!Ich wünsche Euch ganz viel Energie, Kraft und viele Erfahrungen, die Euch am Ende ein gutes Gefühl geben lassen.
Passt auf Euch auf
Viele Grüße Nadine

Viel Kraft und Gespür für die Aktion. Bericht und Bilder sind wieder einmal bereichernt. In Verbundenheit
pat

Danke für den Bericht, er lässt Grenzen und Entfernungen kleiner werden / Nähe spüren.
Euch viel Geduld, Kraft und Gespür für die Aktionen.
Lg pat

Danke für die lebensnahen Berichte. Man kann mitfühlen und spüren, was das geleistet wird. NAMASTE

Eure Berichte sind so schön zu lesen. Man kann wunderbar in das Geschehen eintauchen. Ihr seid so toll, wie ihr wieder aus vollen Herzen kämpft und helft. Alles Liebe euch weiterhin. Liebe Grüße Anna Maria und Christina

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