Schulbildung auf Müllkippe und Maniok-Rösterei im Regenwald

Fortsetzung der Arbeit in Brasilien

Mo 02.04.2018 - 20:00, geschrieben von Alexandra, veröffentlicht von Frank

Tourbericht Teil II - Ziegelpressmaschine und Maniok-Rösterei im Atlantischen Regenwald

Der zweite Teil der Tour führt Christian, Bianca und Alexandra nach Nilo Peçanha, einen Ort im Atlantischen Regenwald im Nordosten Brasiliens.

Seit August letzten Jahres wohnen Bianca, Cebolinha und ihre beiden Kinder zusammen mit Claudia und Açai mitten in der Wildnis in einem gemieteten Häuschen unter besonders einfachen Bedingungen. Neben dem Aufbau einer Existenz ist es ihr Ziel, Bauern im Regenwald zu unterstützen, wieder zu ihren eigenen „Wurzeln“ zurückzufinden.

Der Regenwald Brasiliens, die "Lunge der Erde“ ist seit langem der Ausbeutung durch Wilderer und Verfechter von Monokulturen ausgesetzt. Illegal gelegte Waldbrände sind  an der Tagesordnung. Für Bianca und ihr Team war es anfangs erstaunlich und schockierend zugleich, dass viel altes Wissen über Pflanzen und Tiere den Bauern praktisch nicht mehr zugänglich ist.

Als Cebolinha den armen Bauern zeigte, dass man seinen Salat nicht auf dem Markt zu kaufen braucht, sondern es besonders nahrhafte und überdies schmackhafte Pflanzen direkt vor der eigenen „Haustüre“ gibt, waren diese erstaunt, nahmen den Hinweis jedoch gerne an und verwenden nun selbst regelmäßig die übergroßen, sattgrünen Blätter.

Bianca berichtet, dass Kinder unüberlegt Vögel mit selbstgebauten Schießinstrumenten von den Bäumen holen, weil sie sich der Wichtigkeit von Artenschutz in keiner Weise bewusst sind. Der Artenreichtum der Tier- und Pflanzenwelt schwindet von Jahr zu Jahr.

Fern von jeglicher Schuldzuweisung soll hier die Armut der Bauern herausgestellt werden: Vor einiger Zeit fragte Cebolinha die Kinder der Umgebung einige Male, ob sie schon Mittag gegessen hätten - keine Antwort. Ein verschämter Blick. Wenige Tage später erfuhr er durch einen Zufall, dass die momentane Ernte schlecht ausgefallen war und die Kinder daher wenig oder nichts zum essen hatten.

Überleben ist am Ende durch eine Pflanze gesichert, die rasch wächst und wenig Pflege braucht: Maniok, auch Brotwurzel genannt. Maniok ist mit der Kartoffel und der Süßkartoffel das am häufigsten angebaute Wurzelgemüse der Welt und ist in vielen Teilen der Erde ein Grundnahrungsmittel. Schon ab dem 17. bzw. 18. Jahrhundert wurde es in Ländern wie Indonesien, Indien, Thailand und Westafrika zur Bekämpfung von Hungersnöten eingesetzt.
Maniok kann nur in gegartem Zustand gegessen werden, da er in rohem Zustand giftige Stoffe, z.B. Blausäure enthält, die erst nach dem Erhitzen vollständig zerstört sind. Man kann daraus Brei, Brot oder Kuchen herstellen. In Pulverform und geröstet gilt er beinahe in ganz Brasilien als beliebte Beigabe zu allen Mahlzeiten.

Ein Gespräch mit den Bauern aus der Umgebung liefert wesentliche Infomationen:
Ihre Ernte schaffen sie zu einem Platz, der etliche Kilometer entfernt von ihren Häusern liegt. In der kleinen Rösterei können sie die Säcke mit den Maniok-Wurzeln abgeben und diese nach dem Mahlen und der Röstung wieder abholen. Allerdings nur 75% des Erwirtschafteten, was für die Familien, die ohnehin nur das Nötigste zum Leben haben, ein beträchtlicher Anteil ist.

Einer der Bauern meldet sich zaghaft und erklärt, dass er vor einigen Jahren einen kleinen Motor für ca. 200€ gekauft hat, der den Anfang für eine eigene Rösterei bilden sollte. Er hatte den Plan, zusammen mit der Gemeinschaft eine große Pfanne zu kaufen, um das Rösten selbst zu übernehmen und am Ende keine Einbuße im Ertrag mehr zu haben.
Aus Angst, dass dieses Vorhaben nicht aufgehen und der einzelne vielmehr einen Verlust der eigenen Investition in eine gemeinsame Rösterei erleiden könnte, stimmten viele Bauern nicht zu. „Nun ist mein Motor verrostet“, berichtet der Bauer traurig.

Rasch war der Plan klar und zusammen wurden die verschiedenen Schritte fest gelegt, was zu tun ist, um eine Maniok- Rösterei aufzubauen, die für alle kostenfrei zugänglich und nutzbar ist.
Die folgenden vier Tage des Aufenthalts von Christian und Alexandra mit den Freunden von "Fazenda Saúva“ (Farm der Blattschneide-Ameisen) wie Cebolinha, Bianca, Açai und Claudia ihr Projekt liebevoll nennen, werden genutzt, um eine Schmiede zu finden, die auf das Handwerk der Produktion von Maschinen für eine Maniok-Rösterei spezialisiert ist. Fünf verschiedene Geräte zum Schälen, Mahlen, Rösten, Sieben und Pressen werden bestellt und bezahlt. In zwei Monaten können sie abgeholt werden.

In der Zwischenzeit wird eine Ziegelmaschine in São Paolo bestellt und per Luftfracht zum nächstgelegenen Flughafen in Ilheus gesendet. Mit dieser Maschine ist es nun möglich, eigene Ziegelsteine zu produzieren. Eine Mischung aus roter Regenwald-Erde, Sand, Zement und Wasser, die in einer dazugehörigen Mischmaschine hergestellt wird, bildet die Basis für die manuelle Herstellung des Baumaterials.

Das ganze Team ist überrascht, wie gut, schnell und unkompliziert das Gerät funktioniert. In den kommenden Monaten sollen damit die Mauern der Maniok-Rösterei durch die Bauern selbst entstehen. Außerdem möchte das Team um Bianca eine kleine Schule bauen, in welchem Freiwillige Kurse für Kinder und lernwillige Erwachsene geben: Englischunterricht für Kinder, nachhaltiger Anbau von Biogemüse und Planzen im Regenwald, Schutz der Tier- und Pflanzenwelt, Tanz und Sport für Kinder, z.B. Capoeira usw.

Wie in vielen anderen Ländern der Welt ist auch hier das Phänomen der Landflucht verbreitet, da junge Menschen in der Feld- und Waldarbeit keine Perspektive sehen. Für viele Jugendliche ist die bodenständige und sehr bereichernde Arbeit auf der "Fazenda Saúva“ ein Anker, eine Aussicht auf baldige Besserung der eigenen Zukunft. Mit ihrer besonderen Art, Menschen und Tiere im Atlantischen Regenwald Brasiliens zur Seite zu stehen, helfen sie, noch unberührte Natur zu schützen und zerstörte Flächen, zusammen mit der Bevölkerung, wieder in einen natürlichen Zustand zurückzuversetzen.

 

So 25.03.2018 - 21:40, geschrieben von Alexandra, veröffentlicht von Frank

Tourbericht Teil I - Jardim Gramacho, Rio de Janeiro

Im März 2018 besucht der FriendCircle WorldHelp zum zweiten Mal Jardim Gramacho in Rio de Janeiro, einen der größten Müllplätze der Welt. Diesmal sind Alexandra, Christian und Bianca im Team.

Ursprünglich ein „Feuchtbiotop", was mit als artenreichstes Pflanzen- und Naturreservat der Erde galt, wurde der „Rasen-Garten“ wie man Jardim Gramacho übersetzen könnte, vor ca. 37 Jahren zur Müllhalde der zweitgrößten Stadt Brasiliens umfunktioniert.
Die sich mehr und mehr ausbreitenden Müllberge wurden Heimat und Arbeitsplatz für ca. 15.000 bis 20.000 Menschen. 
Aufgrund der Verseuchung von Böden, Flüssen und der Guanabara-Meeresbucht erklärte die Regierung 2012 kurz vor dem stattfindenden UN-Umwelt- und Nachhaltigkeitsgipfel “Rio+20” die Müllkippe als „stillgelegt“. 
Für die betroffenen Bewohner bedeutete dies zunächst ein Schock. Ein Großteil der Menschen besuchte nie eine Schule. Ohne Ausbildung gab es keine Arbeit und somit kein Einkommen mehr. 
Bis heute versuchen die Menschen sich mit teils kreativen, teils illegalen Mitteln durchzuschlagen. Umgeleiteter Müll bleibt weiterhin für viele die Grundlage eines kleinen Verdienstes.
Die Regierung versprach jedem einen gewissen Betrag als Entschädigung. Spricht man jedoch mit den Leuten, so erfährt man, dass bei vielen das Geld aus verschiedenen Gründen nie ankam. 
 
…Beim Umherwandern zwischen morastigen Müllhaufen, die in der feuchten Hitze ihre Dämpfe entfalten, sehen wir Menschen Glasscherben, Metall- und Plastikteile vom Biomüll zu trennen. Die stinkende Umgebung, in denen Menschen für ihren Lebensunterhalt kämpfen ist nicht mit Worten zu beschreiben. Schwärme von Aasgeiern und hier und da die Warnung unserer Begleiter vor Giftschlangen lässt unser Team wachsam sein. Martha, eine Frau mittleren Alters erzählt uns, dass sie hier seit fast 35 Jahren arbeitet. Sie hat sechs Kinder zu ernähren. Der Vater bekennt sich nicht zur Familie und somit ist keine Unterstützung seinerseits zu erwarten. 
 
...Ein LKW kommt angefahren. Einige Leute drücken dem Fahrer etwas Geld in die Hand. Die Ladung mit vergammeltem Obst und Gemüse wird ausgeschüttet. Kinder sammeln eilig das Brauchbarste davon ein, packen es in alte Plastiktüten und schaffen es auf eine fast plattfahrene Schubkarre. Geld, sich frische Sachen aus dem Laden zu kaufen, haben die meisten Leute hier nicht.
 
…In der Nähe einer aus Brettern und Kunststoffteilen zusammengeschusterten Hütte steht ein riesiger Kanister aus weißem Kunststoff zum Aufbewahren von Trinkwasser. Der Behälter diente ursprünglich dem Transport von Altöl. An der Tür des kleinen Hauses hängt ein Schild. Auf portugiesisch steht dort geschrieben: „Aqui Mora Uma Familia Feliz“, was soviel bedeutet wie: „Hier wohnt eine glückliche Familie.“ 
 
…Eine Frau um die 80 Jahre berichtet unter Tränen, dass vor ein paar Monaten ihr drittes Kind an einer schweren Krankheit gestorben ist. Ihre beiden Ehemänner musste sie ebenfalls beerdigen. Wer hier auf der Müllkippe aufwächst und lebt, ist ständig Giftstoffen und Chemikalien ausgesetzt. Zwei ihrer Kinder sind noch am Leben. Etwas gebückt und stark kurzsichtig lehnt sie sich über den Tresen ihres kleinen Ladens und berichtet von weiteren Ereignissen aus ihrem Leben. „Wenn überall Armut ist, nehmen sich die Leute die Dinge, die sie brauchen auch mal mit Gewalt. Ich habe in meinem Leben oft eine Pistole am Kopf gehabt. Dann habe ich gefleht, dass sie alles nehmen können, aber bitte meine Kinder und mich am Leben lassen sollen. Heute kennen mich alle in der Umgebung und respektieren mich. Ich stelle mich jeden Tag in den Laden, weil ich Ablenkung brauche. Aber manchmal gibt es auch Tage- so wie heute- wo ich nicht mehr aufstehen möchte und bete, dass Gott mich heimnehmen sollte.“
 
Christian, Bianca und Alexandra arbeiten drei Tage an dem Ort, der für die meisten brasilianischen Nachbarn ein Platz ist, den man möglichst meidet. Ein Taxifahrer erkundigt sich vor der Abfahrt, ob wir sicher sind, dass wir nach Jardim Gramacho möchten. Es sei eine gefährliche Gegend...
Maxwell und José, unsere engsten Freunde auf Jardim Gramacho erreichten, dass der FriendCircle WorldHelp mit seiner Arbeit alle Bereiche der Müllhalde erkunden darf, um dort Unterstützung leisten zu können, wo sie nötig ist. 
Die Begegnungen mit den Bewohnern sind berührend und lehrreich zugleich. Wenn die Armut wie ein Damoklesschwert Tag und Nacht über dem eigenen Schicksal und dem der Familie hängt, werden Wünsche bescheiden. Eine saubere Regentonne, die trinkbares Wasser aufbewahrt (für knapp 200€), ein wenig Medizin für ein Kind, dass Würmer unter der Haut hat, ein frisches Brot auf die Hand…
 
Niemand ist in der Lage, die Uhr zurückzudrehen und die heile Welt zurückzuholen, die vor 40 Jahren hier existierte. Doch wir empfinden es als Privileg, die gezeichneten Hände von Menschen zu berühren, die seit langem den Teil der Menschen in Rio de Janeiro repräsentieren, der den Morast der vermeintlich „besseren Welt“ beseitigt. 
 
Seit September 2014, als Alexandra, Julia, Henrique, Marina und Alicy zum ersten Mal hier waren, bieten ehrenamtliche Lehrer in baufälligen Räumlichkeiten Englischunterricht für Kinder und Jugendliche an. Mittlerweile sind es acht Lehrer, die u.a. auch verschiedene Sportarten lehren und Kurse anbieten, wie man vor der eigenen Hütte ein bisschen Gemüse anbauen kann. Viele der Kinder und auch Erwachsenen nehmen diese Möglichkeit wahr. Für sie ist die kleine „Schule“ ein Ort, wo man Ziele und Pläne für die Zukunft schmieden darf und überdies dazu ermutigt wird.  
 
Ein beachtlicher Teil von Jugendlichen hier sieht seine Zukunft im Drogenmilieu, weil man damit "schneller an Geld kommen kann", auch verbunden mit dem Risiko, dass man irgendwann der Verlierer sein wird.
Um jenen eine Chance zu geben, die bereit sind, umzudenken oder noch VOR der Entscheidung stehen, bietet der FriendCircle WorldHelp mit seinen Freunden auf Jardim Gramacho Angebote an, denn Bildung ist der einzige Weg, der aus dieser Spirale herausführen kann. 
Nach reiflicher Überlegung wird entschieden, die Schule mit weiterem Material zu unterstützen. Unter anderem werden vier Computer angeschafft, mit denen Kindern und Jugendlichen Grundkenntnisse vermittelt werden sollen. Hintergrund ist, dass in beinahe jedem Beruf mittlerweile Basis-Kenntnisse am Computer erforderlich sind, sei es in der freien Wirtschaft, im sozialen oder handwerklichen Bereich. 
Vielen Dank an José, Maxwell und das gesamte Team aus Freiwilligen in Jardim Gramacho. Der Armut und ihren Folgen den Kampf anzusagen, ist kräftezehrend. Dennoch lohnt er sich für jedes Kind und jeden Erwachsenen, der dadurch die Möglichkeit erhält, sein Leben und seine Zukunft würdiger zu gestalten.
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Einst ein „Feuchtbiotop", welches mit als artenreichstes Pflanzen- und Naturreservat der Erde galt, ist „Jardim Gramacho“ (übersetzt: Rasengarten) heute eine der größten stillgelegten Müllhalden der Welt.
Behälter zum Aufbewahren von Trinkwasser. Zuvor wurde er von Firmen für Altöl verwendet und hierher billig verkauft.
Ein Mann kocht vor seiner Hütte.
Wo früher Mangrovenwälder standen liegt - seit Jahrzehnten - Müll, soweit das Auge reicht.
Um etwas frische Vitamine zu bekommen, pflegen die Menschen vor ihren aus Müll gebauten Behausungen essbare Pflanzen.
Normalerweise bekommen auch Kinder hier meistens Nahrung, die von anderen weggeworfen wurde.
Nach dem Aufbau und den ersten Tests sind die Regenwald-Kinder so begeistert, dass sie die ganze Zeit weiter Steine pressen :-)

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