Gemeinnütziger Verein
zur Unterstützung von
Kindern und Notleidenden
auf der ganzen Welt
Unterstützung
Unterstützung für notleidende Menschen
“Lass deine Freundlichkeit wie Regen sein, der sich nicht darum kümmert, auf wen er fällt.“
Rumi
Bildbericht von der Reise von Alexandra im August 2020 im Anhang.
Wenn Strahlen der Sonne durch Wolken dringen...
Die Straße verläuft entlang des Waldes. Adrian fährt uns mit dem Taxi über die kurvigen Straßen in Richtung Gherla. Die abwechslungsreiche rumänische Landschaft am Fuß der Karpaten ist idyllisch, hat so etwas wie einen Hauch von Freiheit. Zumindest für uns.
Romantische Gärten, umzäunt von halb verwitterten Holzpfählen. Innen Pflanzen, so lebendig und liebevoll gehegt, als würde das Leben in ihnen nur so strotzen. Junge, frisch grüne Triebe räkeln sich im Schatten von altehrwürdigen Gehölzen. Ohne Perfektion, ohne Betriebsamkeit, ohne lautes Besinnen.
Die Stimmung ist natürlich, rein, erhaben.
Es mutet wie eine Märchenlandschaft an. Buschreihen, kleine Wiesenbereiche mit einer unzähligen Vielfalt von bunten Blumen.
Eine ältere Frau erwidert unser Winken aus dem Auto.
In diesen Tagen besuchen wir Menschen, die alleinstehend sind. Ihr hohes Alter und die Krankheiten machen ihnen oft schwer zu schaffen. Auch die Einsamkeit ist da, vor allem jedoch die Sorgen des Alltags.
Eine frische, kühle Brise durch das geöffnete Fenster lässt die Übelkeit erträglicher werden, welche durch die kurvige Fahrt verursacht wird.
Adrian berichtet uns von der Gegend, dem Land, seiner eigenen Situation und von der politischen Lage. Von seiner Kindheit, die durch die Diktatur Tschaucheskos geprägt wurde.
„Wohin fahren wir Adrian?“, fragen wir unseren rumänischen Freund.
„Nach Gherla“, ist die Antwort.
Durch einen Verwandten erfuhr Adrian von der Arbeit Herrn Ghermans. Wir treffen dort Herrn Gherman, der sich seit vielen Jahren zusammen mit Freiwilligen rührend um hochbetagte Menschen aus der Umgebung kümmert. Wären da nicht die vielen wahren Geschichten, welche wir in diesen Tagen erfahren werden, würden wir auch gerne weiterhin an dieses „Märchenland“ glauben. Doch die Realität sieht anders aus.
Als wir ankommen, werden wir in ein kleines, bescheidenes Büro gebeten.
Als wir Silvestru Gherman zum ersten Mal begegnen, nimmt uns seine Warmherzigkeit sofort ein. Das Strahlen in den Augen des ca. 70-jährigen Mannes sollte uns im folgenden bei jedem Besuch begleiten, den wir in den nächsten Tagen den Menschen abstatten werden.
Während einer Tasse Kaffee berichtet uns Silvestru, wie der Mann mit Vornamen heißt, von den Lebensumständen, die den älteren Menschen zu schaffen machen. Wenn er erzählt, spricht er liebevoll, kümmernd. So, als ob jede dieser alten Seelen ein enges Mitglied seiner eigenen Familie wäre.
Silvestru berichtet auch von seinem persönlichen Leben und an seinem Gesichtsausdruck kann man erkennen, dass leidvolle Erfahrungen die Persönlichkeit weich machen.
„Es ist sehr betrüblich, wie viele Menschen es hier gibt, die bettelarm sind, praktisch jeden Tag zusehen müssen, wie sie ihre Grundbedürfnisse decken können.“
Wir sind gespannt, was uns Silvestru heute zeigen wird und wenngleich das Leid nicht unmittelbar unser eigenes ist, hat es doch das Potential unsere eigene Einstellung zum Leben zu verändern. Sorgfältig wurden in den vergangen Tagen die Häuser notiert, in welchen die Not am größten ist.
In den nächsten Tagen bekommen wir Geschichten zu hören. Geschichten, nicht erdacht, sondern solche, die das Leben selbst schreibt. Worte, zärtlich, süß und doch so schmerzhaft, wenn man seiner Phantasie nachgibt und sich einfühlt in das bereits Erlebte des Gegenübers.
Beeindruckend ist die Würde, mit welcher die Erzählungen geschildert werden. Fast romanartig, souverän - so als ob die Person in Wirklichkeit nicht der Akteur selbst wäre.
Enttäuschung, Leid, Ungerechtigkeit- wie kann ein Mensch so viel davon ertragen?
Was bleibt?
Alles menschliche Sehnen nach diesem und jenem ist verblasst.
Wünsche verschmolzen zu einem einzigen: Dem Leben in der Gegenwart, in welcher sich die Tagesordnung dem Stundentakt hingibt, die Stirn zu bieten.
Oma Rosa lebt in einer kleinen Zwei-Zimmer- Wohnung. Die Toilette ist defekt, daher benutzt sie das hölzerne Klo auf dem Hof.
Sie berichtet aus ihrem Leben. Erst, nachdem wir fragen. Rosa ist es nicht gewohnt, dass Fremde Geschichten aus ihrem Leben erfahren möchten.
Von einigen wenigen Freuden berichtet sie. Als sie mit neun Jahren ein hübsches Kleid von ihrer Tante geschenkt bekam. Als sie mit 20 Jahren ihren Mann heiratete. Der Hochzeitstag war der schönste Tag in meinem Leben. Kurze Zeit später ging meine Tragödie los. Mein Mann war nicht gut zu mir. Das wenige Geld, welches ich mit dem Halten von Hühnern und dem Verkaufen der Eier verdiente setzte er in Alkohol in der Kneipe um. Oft weigerte ich mich, ihm das Geld zu geben, dann schlug er mich. Als er vor 40 Jahren starb- kurz vor meinem 42. Geburtstag, war ich nicht besonders traurig.
Um die Bestattung zu finanzieren, musste ich unsere einzige Kuh verkaufen. Bald danach verstand ich, dass es schwer ist, mit einem Mann ein Leben zu verbringen, doch ohne ihn war es auch nicht leicht.
Ich wurde älter, versuchte mich irgendwie über Wasser zu halten. Immer, wenn ich dachte, dass es so nicht mehr weitergeht hielt ich inne, erinnerte mich daran, dass ich es zumindest bis hierher geschafft hatte.
Meistens bekam ich ein wenig Hilfe von irgendwo her. Gott hat mich niemals vergessen.
In diesem Moment blickt sie zu Silvestru. „Es ist ein Wunder“, fährt sie fort.
Seit über zehn Jahren bringen er und die Freiwilligen aus der Umgebung am Ende des Monats ein kleines Päckchen mit Grundnahrungsmitteln. Dann nämlich, wenn die kleine Rente bereits aufgebraucht ist, aber noch Tage verbleiben, bis der Monat zu Ende ist.
„Ich bin sehr dankbar“, meint sie, schließt ihre Augen, wartet.
„Hast du irgendeinen Wunsch?“, fragen wir. „Nein, ich bin zufrieden“, antwortet Rosa leise.
Manchmal drängt sich der Gedanke dazwischen, wo der einzige Sohn wohl ist oder, warum die Enkeltochter schon so lange nicht mehr hier war. Doch in der Hauptsache ist es das Kreisen der Gedanken um genug Nahrung, Holz, einige Medikamente. Das ist es, was geblieben ist. Geblieben von der einstigen ausgelassenen Lebensenergie aus jungen Jahren, gleich der Gewächse in den Gärten, welche die Jahreszeiten stetig erneuern.
Und wenn dann die Menschlichkeit in den Gesprächen sich berührt, wenn wir versprechen, zu bringen, was auch immer fehlt... und noch etwas mehr, dann fließen die Tränen und auch unsere Augen werden glasig. Dann fühlt sich die Zeit zeitlos an.
Von den mitgebrachten Spenden unserer Freunde geben wir Rosa 400,00 € in die Hand. Sie blickt uns an, scheint nicht zu verstehen, was geschieht.
„Es gehört dir“, erklärt Silvestru auf rumänisch. Die beiden faltigen Hände zittern.
„Was wirst du dir als erstes kaufen?“, fragen wir.
„Ein großes Glas mit eingelegtem Käse“, flüstert Rosa und lächelt.
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